Das sündige Viertel
Besuche bei ihr macht sich das ganze Etablissement lustig.
Endlich schafft es Soja zu gähnen.
»Ach, schert euch zum Teufel«, sagt sie, heiser nach dem Gähnen, »soll ihn der Schlag treffen, den verdammten Alten!«
»Trotzdem«, fährt Shenja in ihren Betrachtungen fort, »am schlimmsten von allen – schlimmer als dein Direktor, Sojenka, und schlimmer als mein Kadett –, am schlimmsten sind eure Liebhaber. Was gibt es denn da Erfreuliches: Der Kerl kommt betrunken her, gibt an, spottet, will was Besseres darstellen, aber es wird nichts. Gebt es doch zu: ein dummer Junge. Dreckig, stinkend, ein ausgemachter Flegel, verprügelt, den ganzen Körper voller Narben, das einzig Gute an ihm ist das seidene Hemd, das Tamara ihm näht. Er flucht ganz ordinär, der Hundesohn, und würde am liebsten eine Schlägerei vom Zaune brechen. Pfui! – Nein«, ruft sie auf einmal keck und fröhlich aus, »wen ich wirklich und ehrlich liebe, in alle Ewigkeit, das ist meine Manetschka, die Blonde Manka, die Kleine Manka, meine liebe Skandal-Manka!«
Und völlig überraschend hat sie ihre Arme um Manjas Brust und Schultern geschlungen, sie zu sich herangezogen, sie aufs Bett geworfen und küßt ihr lange und heftig das Haar, die Augen, die Lippen. Mit Mühe reißt Manka sich los, ihr helles dünnes, duftiges Haar ist wirr, sie ist ganz rot vom Abwehren, und die Augen, feucht vor Scham und vom Lachen, hält sie gesenkt.
»Hör auf, Shenetschka, hör auf. Also weißt du, wirklich … Laß mich!«
Die Kleine Manja ist das sanfteste und stillste Mädchen im ganzen Etablissement. Sie ist gutmütig, nachgiebig, kann nie jemandem eine Bitte abschlagen, und unwillkürlich sind alle sehr liebevoll zu ihr. Sie errötet beim geringsten Anlaß und wirkt dann besonders anziehend, wie das bei zarten Blondinen mit empfindlicher Haut der Fall ist. Doch sie braucht nur drei, vier Gläschen Benediktiner-Likör zu trinken, den sie sehr mag, schon ist sie nicht wiederzuerkennen und zettelt solche Skandale an, daß stets das Eingreifen der Verwalterinnen, des Portiers und manchmal sogar der Polizei erforderlich wird. Es macht ihr gar nichts aus, einem Gast eine Ohrfeige zu geben oder ihm ein volles Weinglas ins Gesicht zu werfen, eine Lampe umzustürzen, die Chefin zu beschimpfen. Shenja spielt ihr gegenüber eine sonderbar liebevolle Beschützerrolle und himmelt sie zugleich auf burschikose Weise an.
»Meine Damen, zum Essen! Zum Essen, die Damen!« ruft die Verwalterin Sossja, durch den Korridor laufend. Im Vorüberrennen öffnet sie die Tür zu Manjas Zimmer und sagt eilig: »Essen, essen, meine Damen!«
Sie gehen wieder in die Küche, immer noch alle in Unterwäsche, ungewaschen, barfuß in Hausschuhen. Es gibt schmackhaften Borstsch mit Schweineschwarte und Tomaten, Gehacktes und danach Sahneröllchen. Doch niemand hat Appetit, auf Grund der trägen Lebensweise und des unregelmäßigen Schlafs und auch, weil die meisten Mädchen, wie Pensionstöchter an Feiertagen, sich schon tagsüber Halwa, Nüsse,Rachat-Lokum [1] , Salzgurken und Sahnebonbons aus dem Laden holen ließen und sich damit den Appetit verdarben. Einzig und allein Nina, ein kleines stupsnäsiges Dorfmädchen mit näselnder Stimme, das erst vor zwei Monaten von einem Handlungsreisenden verführt und von ihm auch an das Bordell verkauft wurde, ißt für vier. Sie hat den unmäßigen Appetit einfacher Leute, die auf Vorrat essen wollen, noch immer nicht eingebüßt.
Shenja, die nur verächtlich am Fleisch herumgestochert und ein halbes Sahneröllchen gegessen hat, sagt zu ihr mit geheuchelter Anteilnahme: »Du kannst auch mein Fleisch noch essen, Fekluschka. Iß nur, meine Liebe, immer iß, damit du wieder zu Kräften kommst. Wißt ihr was, Kinder«, wendet sie sich an die anderen, »unsere Fekluscha hat nämlich einen Bandwurm, und wer einen Bandwurm hat, der ißt immer für zwei: die Hälfte für sich, die Hälfte für den Wurm.«
Nina schnieft ärgerlich und antwortet näselnd und mit für ihre Größe ungewöhnlich tiefer Stimme: »Gar keine Würmer hab ich. Sie selber haben Würmer, darum sind Sie auch so dürr.«
Sie ißt ungerührt weiter, und nach dem Essen fühlt sie sich schläfrig wie eine Boa, rülpst laut, trinkt Wasser, bekommt den Schlucken und bekreuzigt sich nach alter Gewohnheit den Mund, heimlich, wenn es keiner sieht.
Doch nun ist in den Korridoren und Zimmern schon Sossjas schallende Stimme zu hören: »Anziehen, meine Damen, anziehen! Nicht mehr
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