Das sündige Viertel
herumsitzen … An die Arbeit!«
Ein paar Minuten später riecht es in allen Zimmern des Etablissements nach versengtem Haar, Bor-Thymol-Seife und billigem Eau de Cologne. Die Mädchen kleiden sich für den Abend an.
4
Die späte Dämmerung ist eingefallen, ihr folgte eine warme, dunkle Nacht, doch noch lange, bis Mitternacht, glüht das satte Abendrot. Simeon, der Portier des Hauses, hat alle Lampen an den Wänden des Saales und den Kronleuchter angezündet, die rote Laterne überm Eingang ebenfalls. Simeon ist ein hagerer Mann mit krummer Körperhaltung, schweigsam und unwirsch, er hat breite Schultern, brünettes Haar, freche mattschwarze Augen, von der Pockenkrankheit Narben im Gesicht und kahle Stellen in den Brauen und im Schnurrbart. Tagsüber hat er frei und schläft, nachts sitzt er ständig in der Diele unterm Kronleuchter, um den Gästen die Garderobe abzunehmen und ihnen wieder hineinzuhelfen und um auf dem Sprung zu sein, falls irgend etwas nicht seine Ordnung hat.
Inzwischen ist der Klavierspieler gekommen, ein großer, semmelblonder, sensibler junger Mann mit einem Hornhautfleck auf dem rechten Auge. Solange noch keine Gäste da sind, übt er mit Issai Sawwitsch den »Pas d'Espagne«, einen Tanz, der jetzt gerade in Mode kommt. Für jeden Tanz, den die Gäste bestellen, erhalten sie dreißig Kopeken, für eine Quadrille einen halben Rubel. Doch die Hälfte dieses Verdienstes nimmt sich die Chefin, Anna Markowna, die andere teilen sich die Musiker. So fällt dem Pianisten nur ein Viertel des gemeinsamen Lohnes zu, und das ist freilich ungerecht, denn Issai Sawwitsch ist ja nur Autodidakt und hat dazu noch ein Gehör wie ein Holzklotz. Der Klavierspieler muß ihn dauernd zu neuen Motiven mitziehen, ihn korrigieren und seine Fehler mit lauten Akkorden übertönen. Die Mädchen erzählen den Gästen mit einem gewissen Stolz, daß der Pianist auf dem Konservatorium war und immer als bester Schüler galt, doch da er Jude ist und außerdem kranke Augen bekam, mußte er das Studium abbrechen. Sie gehen alle sehr behutsam und aufmerksam mit ihm um, mit einer Art teilnahmsvollem, ein wenig gespieltem Mitleid, und das paßt durchaus zu den Sitten, die hinter den Kulissen in Freudenhäusern üblich sind, wo sich unter äußerlicher Grobheit und dem Protzen mit unflätigen Worten genau die gleiche süßliche, hysterische Sentimentalität verbirgt wie in Mädchenpensionaten und angeblich auch in Gefängnissen.
In Anna Markownas Haus sind schon alle angekleidet und zum Empfang der Gäste bereit, die Untätigkeit und das Warten lasten quälend auf ihnen. Ungeachtet dessen, daß die meisten dieser Frauen gegenüber Männern, mit Ausnahme ihrer Liebhaber, völlige, sogar etwas verächtliche Gleichgültigkeit hegen, regen sich in ihren Herzen dennoch vor jedem Abend verschwommene Hoffnungen: Man weiß nicht, wer einen wählen wird, vielleicht geschieht auch etwas Außergewöhnliches, Lustiges oder Interessantes, und könnte sich nicht ein Gast durch besondere Großzügigkeit hervortun, könnte nicht ein Wunder geschehen, das das ganze Leben umkrempelt? Diese Vorahnungen und Hoffnungen ähneln in gewisser Weise der Aufregung, die ein Gewohnheitsspieler empfindet, wenn er vor dem Aufbruch in den Klub sein Bargeld zählt. Außerdem haben die Mädchen, ungeachtet ihrer Geschlechtslosigkeit, doch noch nicht das wichtigste, instinktive weibliche Bestreben eingebüßt – den Wunsch zu gefallen.
Und in der Tat, schon manchmal sind ganz wunderliche Personen ins Haus gekommen, haben sich turbulente, sensationelle Ereignisse zugetragen. Einmal kam die Polizei zusammen mit verkleideten Detektiven und verhaftete mehrere Gentlemen, die äußerlich anständig und tadellos wirkten; sie wurden mit Nackenschlägen abgeführt. Ab und zu gab es eine Rauferei zwischen einer randalierenden Gesellschaft Betrunkener und den Portiers aller Etablissements, die einem ihrer Kollegen zu Hilfe eilten, eine Schlägerei, bei der Fensterscheiben und Klavierdeckel zertrümmert wurden, abgerissene Stuhlbeine von Plüschstühlen als Waffen dienten, Blut über Treppenstufen und Saalparkett strömte und Menschen mit durchbohrten Flanken und kaputten Köpfen vor der Haustür in den Straßenschmutz fielen, zum wilden, gierigen Entzücken von Shenja, die sich mit funkelnden Augen und glücklichem Lachen in den Strudel des Kampfes stürzte, sich auf die Hüften schlug, schimpfte und die Menge noch mehr aufwiegelte, während ihre Freundinnen vor Angst
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