Das sündige Viertel
kreischten und sich unter den Betten versteckten.
Gelegentlich kehrte, mit einem ganzen Schwarm von Schmarotzern, ein Artelmitglied oder Kassierer ein, der sich schon längst übernommen hatte mit Riesenausgaben beim Kartenspiel und bei sinnlosen Zechgelagen und der nun vorm Selbstmord oder kurz vor der Anklagebank sein letztes Geld in trunkenem, absurdem Wahnsinn verschleuderte. Dann wurden Türen und Fenster fest verschlossen, und zwei Tage hintereinander fand eine wilde, monotone, schauderhafte russische Orgie statt, mit Schreien und Tränen, mit Schändung des weiblichen Körpers, »paradiesische Nächte« wurden veranstaltet, während deren betrunkene, krummbeinige, behaarte, dickwänstige Männer und Frauen mit schlaffen, gelben, ausgemergelten Körpern sich splitternackt zu Musikklängen häßlich verrenkten, tranken und fraßen wie Schweine, in den Betten und auf dem Fußboden, in schwüler, alkoholgeschwängerter Atmosphäre, die von menschlichem Atem und den Ausdünstungen schmutziger Haut verunreinigt war.
Es gab auch seltene Gäste: ein Zirkusathlet, der in den niedrigen Räumen einen seltsam wuchtigen Eindruck machte, wie ein Pferd, das ins Zimmer geführt worden ist; ein Chinese mit blauer Jacke, weißen Strümpfen und Zopf; ein Kaffeehausneger in Smoking und karierter Hose, mit einer Blume im Knopfloch und gestärkter Wäsche, die zum Erstaunen der Mädchen durch die schwarze Haut ganz und gar nicht beschmutzt wurde, sondern noch blendender und glänzender wirkte.
Diese ausgefallenen Leute regten die übersättigte Phantasie der Prostituierten an, weckten ihre verbrauchten Gefühle und ihre professionelle Neugier, und sie alle waren beinahe verliebt und hängten sich diesen Männern an die Fersen, eifersüchtig und einander anfauchend.
Einmal war es vorgekommen, daß Simeon einen älteren Mann in den Saal einließ, der ganz bürgerlich gekleidet war. Nichts Besonderes war an ihm: strenges, hageres Gesicht mit scharf vorspringenden, knochigen, bösartigen Jochbeinen, niedrige Stirn, Spitzbart, dichte Brauen, ein Auge deutlich höher als das andere. Beim Eintreten führte er zum Bekreuzigen die Finger an die Stirn, doch als er mit dem Blick die Ecken absuchte und kein Heiligenbild fand, war er nicht im geringsten verwirrt, ließ die Hand sinken, spuckte aus und ging sofort ganz sachlich auf das dickste Mädchen des ganzen Etablissements zu, auf Katka.
»Komm!« befahl er kurz und machte eine entschiedene Kopfbewegung zur Tür.
Doch während seiner Abwesenheit konnte der allwissende Simeon seiner damaligen Geliebten Njura mit geheimnisvoller und sogar ein wenig stolzer Miene etwas mitteilen, und sie erzählte es unter dem Siegel der Verschwiegenheit den anderen, flüsternd, wobei ihre Augen vor Entsetzen ganz rund wurden: daß nämlich der Name dieses Kleinbürgers Djadtschenko war und daß er sich im vorigen Herbst freiwillig dazu gemeldet hatte, elf Rebellen in Abwesenheit des Henkers hinzurichten, und sie an zwei Tagen frühmorgens eigenhändig erhängte. Und so absurd es auch ist – es gab damals im ganzen Etablissement kein Mädchen, das die dicke Katka nicht beneidet hätte und das nicht eine prickelnde, sinnverwirrende Neugier empfand. Als Djadtschenko nach einer halben Stunde wieder ging, ebenso beherrscht und streng wie vorher, geleiteten ihn alle Frauen schweigend, mit offenstehenden Mündern bis zur Haustür und sahen ihm dann von den Fenstern aus nach, wie er die Straße entlangschritt. Dann stürzten sie ins Zimmer zu Katka, die sich gerade wieder anzog, und überschütteten sie mit Fragen. Mit einem neuen, merkwürdigen Gefühl, beinahe staunend, betrachteten sie Katkas rote, dicke nackte Arme, das zerwühlte Bett, den alten fettfleckigen Papierrubel, den Katka aus dem Strumpf holte und ihnen zeigte. Sie hatte nichts zu erzählen. »Ein Mann eben, wie alle anderen auch«, sagte sie ruhig und verständnislos, doch als sie erfuhr, wer da bei ihr gewesen war, brach sie plötzlich in Weinen aus, ohne selbst zu wissen warum.
Dieser Mann, Abschaum vom Abschaum, der so tief gesunken war, wie es sich die menschliche Phantasie nur vorstellen kann, dieser freiwillige Henker war nicht einmal grob mit ihr umgegangen, aber er hatte es selbst an der Andeutung einer Freundlichkeit fehlen lassen, hatte sie mit solcher Geringschätzung und hölzernen Gleichgültigkeit behandelt, wie man mit einem Menschen nicht umgeht, nicht einmal mit einem Hund oder einem Pferd, nicht einmal mit einem Schirm,
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