Das Syndikat der Spinne
Sie würden an einer Serie über das organisierte Verbrechen schreiben und hätten dafür ausgiebig recherchiert. Das stimmt doch, oder?«
»Ja. Die Serie erscheint in drei Wochen. Sie sollte ursprünglich schon übernächste Woche kommen, musste aber verschoben werden, weil ich mich erst am Mittwoch oder Donnerstag mit jemandem treffe, der noch einige sehr interessante Informationen für mich hat. Hoffe ich zumindest. Und dann muss natürlich alles noch aufgearbeitet werden«, fügte er mit einem jungenhaften Lächeln hinzu, was ihn nur noch sympathischer machte. »Um was geht’s denn?«
Julia Durant erzählte ihm die Geschichte, wobei sie sich nur auf das Wesentliche konzentrierte. Schulze hörte aufmerksam zu, und fuhr sich einige Male mit der Hand übers Kinn und mit der Zunge über die Lippen. Als sie geendet hatte, legte er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen für einen Moment. Dann richtete er sich auf, zündete sich eine weitere Zigarette an und sah von Durant zu Kuhn und wieder zu Durant.
»Das ist heiß, sehr heiß sogar. Das hört sich ganz nach Mafiamethoden an. Nach dem, was Sie erzählt haben, bin ich fast sicher, dass der Uhrendeal stattgefunden hat. Und ich werde euch jetzt mal erzählen, wie so ein Deal abläuft …«
»Können wir nicht dieses blöde Sie weglassen«, sagte die Kommissarin. »Ich heiße Julia.«
»Prima, Peter.« Er trank seine Dose leer, Kuhn ging zum Kühlschrank und holte eine neue heraus.
»Danke«, sagte Schulze und sah Julia Durant an. Er fasste sich mit zwei Fingern an die Nase und fuhr fort: »Es gibt unterschiedliche Varianten, wie so was durchgezogen wird. Ich werde jetzt einfach mal eine gängige vorstellen. Und was ich jetzt gleich sage, ist nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern spielt sich so oder ähnlich fast tagtäglich irgendwo auf der Welt ab.
Nehmen wir diesen Wiesner. Er bekommt eines Tages einen Anruf von einem gewissen Igor aus Moskau. Dieser Igor bestellt bei Wiesner Rolex-Uhren im Wert von zwanzig Millionen Mark. Er habe gehört, dass Wiesner über sehr viele und sehr gute Kontakte verfüge und sehr angesehen sei. Natürlich ist Wiesner nicht dumm und denkt, die Sache muss einen Haken haben. Er fragt nach der Telefonnummer von diesem Igor, der sie ihm bereitwillig gibt. Wiesner ruft daraufhin bei Igor an, und somit ist für Wiesner erst mal alles klar. Die Telefonnummer stimmt, also handelt es sich doch nicht um einen Spinner. Igor äußert ganz offen seine Wünsche, zum Beispiel, wie viel Stück von jeder Rolex er haben möchte, und um Wiesner in Sicherheit zu wiegen, sagt er ihm auch gleich dazu, dass es doch bestimmt möglich sei, anstatt der tausend Uhren elfhundert zu bekommen. Für Wiesner ist das kein Problem. Er wird schon jemanden finden, der ihm die Rolex zu einem besonders günstigen Preis liefert, und er rechnet mit einem Gewinn von, sagen wir, einer halben Million Mark. Es wird alles telefonisch besprochen, und Igor überweist, ohne vorher eine Lieferung erhalten zu haben, die zwanzig Millionen auf irgendein Konto von Wiesner, vermutlich eins im Ausland, in Luxemburg, Österreich oder der Schweiz, wo der Fiskus nicht drankommt. Das ist der endgültige Beweis für Wiesner, dass Igor es ernst meint und ihn nicht auf den Arm genommen hat. Nun macht sich Wiesner schnellstens auf die Suche nach dem preiswertesten Anbieter. Er hat ja Kontakte, unter anderem seine ehemalige Mitarbeiterin. Da meldet sich, o Wunder, tatsächlich schon nach zwei oder drei Tagen ein gewisser Richard aus Wien, den Wiesner zwar nicht kennt, der ihm aber sagt, ihm sei zu Ohren gekommen, dass Wiesner nach günstigen Rolex suche. Er könne sie ihm beschaffen und nennt einen Preis, bei dem es Wiesner schwindlig wird. Anstatt für den normalen Einkaufspreis von, sagen wir, fünfzehntausend Mark bietet Richard die Uhren für zwölf- oder dreizehntausend Mark an, selbstverständlich mit Echtheitszertifikat. Wiesner springt natürlich sofort auf dieses Angebot an, ohne nachzufragen, wie Richard so billig an die Uhren gelangt ist.«
Schulze steckte sich eine Zigarette an, hielt inne und warf einen Blick auf die Kommissarin, die ihm gebannt zuhörte. Nach einer Weile fuhr er fort: »So, und jetzt, kommt’s. Richard sagt Wiesner, er könne die Uhren direkt von Wien aus nach Moskau schicken. Es sei für ihn kein Problem, er arbeite des Öfteren mit einer sehr zuverlässigen Spedition zusammen, mit der es noch nie Schwierigkeiten gegeben habe, und er habe auch schon
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