Das Syndikat der Spinne
einige Male nach Russland geliefert. Die Ware könne bereits in zwei bis drei Tagen auf den Weg gebracht werden und sei mit Sicherheit in spätestens einer Woche in Moskau. Wiesners Misstrauen ist inzwischen völlig geschwunden, so dass er sich darüber überhaupt keine Gedanken mehr macht. Alles, was zählt, ist das Geld. Und alle sind zufrieden. Wiesner ruft Igor an und teilt ihm die freudige Botschaft mit, Richard bekommt von Wiesner das ihm zustehende Geld überwiesen, sagen wir neunzehn Millionen, und Wiesner ist einfach nur happy, ein derart gutes Geschäft gemacht zu haben.«
Schulze trank von seinem Bier, und wischte sich über den Mund.
»Und jetzt folgt das große Finale. So zehn bis zwölf Tage später klingelt bei Wiesner das Telefon. Igor. Er fragt ihn, wo die Ware bleibe, sie sei schon seit mindestens zwei Tagen überfällig. Wiesner, der noch immer nichts ahnt, verspricht ihm, sich mit Richard in Verbindung zu setzen. Es gebe sicher eine plausible Erklärung. Aber Richard versichert, die Ware sei ordnungsgemäß zwei Tage nach dem Telefonat verschickt worden. Wiesner bittet Richard um eine Kopie des Lieferscheins, doch Richard sagt nur, dass es selbstverständlich keinen Lieferschein für die Uhren gebe, da sie als Wodka deklariert seien. Dadurch, so erklärt ihm Richard, müsse wesentlich weniger Zoll bezahlt werden, was Wiesner natürlich einleuchtet, ihn aber trotzdem ins Schwitzen bringt. Er rotiert im wahrsten Sinne des Wortes. Und nachdem die Uhren auch nach weiteren drei oder vier Tagen nicht bei Igor sind, beginnt der natürlich Wiesner unter Druck zu setzen. Entweder die Uhren oder Geld zurück. Aber Richard ist logischerweise nicht bereit, Wiesner auch nur eine müde Mark zurückzuerstatten, schließlich hat er ja die Ware nachMoskau geschickt, jedoch unversichert und ohne Lieferschein. Wiesner hofft jetzt inständig, dass auf dem Weg dorthin nichts schief gelaufen ist, und bittet Richard, sich mit der Spedition in Verbindung zu setzen.«
Schulze stand auf, ging ans Fenster und sah hinaus. Dann drehte er sich um und stützte sich mit den Händen auf die Fensterbank.
»Tja, was Wiesner nicht ahnt, ist, dass Igor und Richard unter einer Decke stecken. Es war ein von langer Hand abgekartetes Spiel, das nur einen einzigen Verlierer kannte, der schon vor dem Spiel feststand – Wiesner. Er steht mit einem Mal mit mindestens neunzehn Millionen Mark in der Kreide von Igor. Denn Wiesner hat das Geld ja nicht mehr, sondern Richard oder besser gesagt Igor, denn bei dem ist es, bis auf eine Million, längst wieder gelandet, was aber Wiesner nicht weiß.«
Schulze machte erneut eine Pause und überlegte. Er wirkte müde und abgespannt, tiefe Ringe lagen unter seinen Augen, über die er sich immer wieder fuhr.
»Aber erneut geschieht ein Wunder. Da kennt Igor, der ja kein Unmensch ist, doch tatsächlich einen Mann namens Alexander, der Wiesner einen Kredit gewähren kann. Zu horrenden Zinsen natürlich, vierzig bis fünfzig Prozent im Monat. Dass auch ein reicher Mann wie Wiesner damit die Summe niemals im Leben würde zurückzahlen können, ist sonnenklar. Also macht Igor Wiesner einen Vorschlag. Er bietet ihm ein Geschäft an, ein Geschäft, das aber im Prinzip wieder nur einem zugute kommt – Igor. Er benutzt Wiesner als Geldwaschanlage. Ich will jetzt nur mal ein Beispiel geben. Er liefert ihm Rohdiamanten, natürlich nur zweit- oder drittklassige Ware, die Wiesner in seiner Werkstatt schleift und in edle Schmuckstücke einsetzt. Diese Schmuckstücke werden zu weit überhöhten Preisen verkauft, was die Kunden aber nicht wissen, da Wiesner ja ein überaus integrer und angesehener Geschäftsmann ist, der nie jemanden übers Ohr hauen würde. Und keiner dieser Kunden würde je auf die Idee kommen, die Steine auf ihre Reinheit hin untersuchen zu lassen. Und der Gewinn fließt fast ausschließlich inIgors Tasche. Aber dennoch bleibt Wiesner, und das weiß er, sein Leben lang in Igors Schuld, denn wegen der unglaublichen Zinsen schrumpft der Schuldenberg keinen Zentimeter. Das Ganze geht vielleicht ein Vierteljahr so, doch die Schlinge zieht sich immer fester um Wiesner zu. Man zwingt ihn schließlich zu weiteren illegalen Geschäften, er ist ja ein bekanntes Gesicht an der Antwerpener Diamantenbörse. Er soll Diamanten einkaufen und bearbeiten, die Igor ihm zum Selbstkostenpreis wieder abkauft. So wird aus schmutzigem Geld mit einem Mal sauberes.«
Schulze ging wieder vom Fenster weg, setzte sich,
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