Das Syndikat der Spinne
Wiesner, ich denke, es wird Zeit für mich, wieder zu fahren. Wir haben jetzt bald halb vier, und um sieben klingelt mein Wecker. Ich weiß gar nicht, wie ich den Tag durchhalten soll.«
»Wenn Sie möchten, können Sie hier schlafen. Ich habe Platz genug.«
Julia Durant überlegte einen Moment, holte ihr Handy aus der Tasche und schickte eine SMS an Dominik Kuhn. »Mach dir keine Sorgen. Schlafe bei R. Wiesner. Küsschen, Julia.«
»Ich nehme Ihr Angebot an, denn ich fürchte, ich würde auf der Heimfahrt glatt einschlafen. Da hat nicht mal der Kaffee geholfen.«
»Dann zeige ich Ihnen Ihr Zimmer. Soll ich Sie um sieben wecken?«
»Das wäre sehr freundlich von Ihnen. Ich müsste nur noch mal kurz Ihre Toilette benutzen.«
Um halb vier legte sich Durant in das fremde Bett im Gästezimmer. Sie machte die Augen zu und schlief sofort ein. Ramona Wiesner saß im Wohnzimmer und hörte leise Musik. Beethoven, die
Pastorale.
Sie war viel zu aufgewühlt und konnte nicht schlafen. Es war bereits die vierte Nacht ohne Schlaf.
Mittwoch, 8.00 Uhr
Berger schaute kurz auf, Hellmer und Kullmer saßen hinter ihren Schreibtischen, der eine war in Akten vertieft, der andere telefonierte, als Julia Durant ins Büro kam. Sie machte nicht nur einen übernächtigten Eindruck, sie fühlte sich auch wie gerädert. Sie hatte bei Ramona Wiesner ein reichliches Frühstück bekommen, aber seit dem Aufstehen ein leichtes Pochen und Ziehen in der linken Schläfe, die sie auf die viel zu kurze Nacht, den Stress der vergangenen Tage und schon um diese frühe Zeit unerträgliche Hitze zurückführte.
»Morgen«, sagte sie zu Berger. »Ich weiß, ich schaue furchtbar aus, aber ich habe auch eine lange Nacht hinter mir.«
»Dafür sehen Sie gar nicht so schlecht aus«, bemerkte Berger gelassen und fragte dann neugierig: »Was war denn heute Nacht?«
»Ich hole nur schnell Hellmer und Kullmer, denn ich habe keine Lust, alles doppelt und dreifach zu erzählen.« Sie ging in die andern Büros und gab beiden wortlos ein Zeichen. Kullmer legte gerade den Hörer auf. Sie kamen hinter ihren Schreibtischen hervor, Hellmer schloss die Tür von Bergers Büro.
»Ich will nicht viele Worte machen, aber die Sache wird immer heißer. Ich hoffe, ich kann jedem von Ihnen bedingungslos und blind vertrauen. Wenn nicht, dann soll derjenige bitte den Raum verlassen.«
»Sie können mir vertrauen«, sagte Kullmer missmutig, weil er genau wusste, dass das auf ihn abzielte, »und das wissen Sie auch.«
»Sorry, war nicht so gemeint.« Sie massierte ihre linke Schläfe, schloss für einen Moment die Augen und fuhr fort: »Also, um es kurz zu machen, ich wurde heute Nacht von Frau Wiesner angerufen. Hier, sie hat diese Unterlagen im Arbeitszimmer ihres Mannes gefunden.« Sie holte die Papiere aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tisch. »Daraus geht eindeutig hervor, dass Wiesner von der Russenmafia gekrallt wurde. Er hat alles akribisch genau festgehalten. Ich werde es zusammenfassen. Am 31. Mai ’99 wurde er voneinem gewissen Levi Galinski aus Riga angerufen und gefragt, ob er ihm Rolex-Uhren im Wert von zwanzig Millionen Mark beschaffen könne. Wiesner hat nach dem preiswertesten Anbieter gesucht, woraufhin sich Frau Maric, seine ehemalige Mitarbeiterin, bei ihm gemeldet und ihm gesagt hat, sie könne ihm bei der Suche helfen. Ein paar Tage später, genauer gesagt am 4. Juni, erhielt er einen Anruf von einem Gregor Gauschwitz aus Basel, der ihn wissen ließ, dass er ihm die Uhren zu einem exzellenten Preis beschaffen könne. Mit Echtheitszertifikat. Und er könne die Uhren über einen befreundeten Spediteur auch direkt nach Riga liefern. Galinski hat, nachdem Wiesner ihm die Erfolgsmeldung durchgegeben hat, mittlerweile das Geld auf ein Luxemburger Konto überwiesen. Wiesner wiederum hat den größten Teil, gut neunzehn Millionen Mark, an Gauschwitz weitergeleitet. Das Problem ist nur, die Uhren sind nie bei Galinski eingetroffen, angeblich wurde der Laster auf einer Landstraße in Litauen von als Polizisten verkleideten Gangstern ausgeraubt. Der Transport war natürlich nicht versichert, denn das hätte unglaubliche Mehrkosten verursacht, und auch die Zollbehörden hätten kräftig abkassiert. So bestand die Lieferung angeblich aus Rinderhälften. Galinski war das alles schnurzpiepegal, er wollte entweder die Uhren oder sein Geld zurück. Aber Wiesner hatte dieses Geld nicht mehr. Und Gauschwitz war plötzlich nicht mehr erreichbar, genauso wenig wie
Weitere Kostenlose Bücher