Das Syndikat der Spinne
»Schon gut, ich halte für heute meinen Mund. Bist du sehr müde?«
»Müde, erschöpft, meine Füße sind geschwollen und tun weh, und ich ertrage diese verfluchte Hitze nicht mehr. Kein Mensch kann da klar denken.« Sie schluckte den letzten Bissen hinunter, nahm das Glas in die Hand und trank es in einem Zug leer. Dann steckte sie sich eine Zigarette an.
»Das ist erst meine sechste heute«, sagte sie und lächelte Kuhn an, der sie beleidigt ansah. »He, komm schon, großer Held, hast du gehört, erst meine sechste Zigarette! Und jetzt mach nicht so ein Gesicht. Sei lieb und lächle … Lächeln! … Na siehst du, geht doch … Weißt du, wenn ich nach einem solchen Tag nach Hause komme, brauche ich erst mal etwas Ruhe. Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Ich bin seit heute Morgen um sieben auf den Beinen, habe kaum was gegessen, habe Fragen über Fragen gestellt und …«
»Komm her«, sagte Kuhn mit versöhnlichem Blick und streckte seine Arme aus: »Ich kann dich ja verstehen. Wir unterhalten uns morgen. Und wenn morgen wieder so ein beschissener Tag ist, dann eben übermorgen. Die Zeit läuft uns nicht davon.«
Sie setzte sich auf seinen Schoß und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Er streichelte ihr über das inzwischen trockene Haar und küsste sie ein paarmal auf die Wangen und die Stirn. »Ich liebe dich«, sagte er, »und ich werde mich daran gewöhnen, dich in Zukunft nicht gleich mit Fragen zu überfallen. Es ist halt meine Journalistenneugier.«
»Weiß ich doch. Und ich bin froh, dass du da bist. Früher habe ich mich in solchen Situationen immer so allein gefühlt. Jetzt hab ich dich, und du erträgst sogar meine Launen.« Sie drückte die Zigarette aus. »Wollen wir ins Bett gehen?«
»Und dann?«, fragte Kuhn grinsend zurück.
»Tja, lass dir was einfallen. Oder besser gesagt – ihm.«
»Ich denke, da könnte sich was machen lassen.«
Sie zog Kuhn hoch und mit sich ins Schlafzimmer. Es war fast ein Uhr, bevor sie einschlief. Sie sagte sich noch, morgen einen guten Tag werden zu lassen.
Mittwoch, 0.40 Uhr
Ramona Wiesner hatte sofort, nachdem sie nach Hause zurückgekommen war, die Rollläden heruntergelassen und seit über vier Stunden das ganze Haus abgesucht. Angefangen hatte sie im Arbeitszimmer ihres Mannes und sich dann durch sämtliche Räume des Hauses gewühlt. Sie wollte schon resigniert aufgeben, als ihr plötzlich einfiel, dass Andreas früher manchmal bestimmte Fotos oder alte Liebesbriefe, die sie ihm geschrieben hatte, als sie noch kein Paar waren, zwischen Büchern versteckte. Im Arbeitszimmer befand sich ein großes Regal, in dem seine Lieblingsbücher standen, die
Encyclopedia Britannica
aus erlesenstem Leder und mit Goldschnitt, eine Reihe mit Geschichtsbüchern und etliche Werke, die sich mit Malerei und Bildhauerei, aber auch mit der Juwelierkunst und der Anfertigung von Schmuck befassten. Sie nahm ein Buch nach dem andern heraus,blätterte kurz darin und legte es auf den Boden. Es war Band acht der
Encyclopedia Britannica, wo
sie fündig wurde. Er hatte die Papiere zwischen mehreren Seiten versteckt. Sie nahm jedes einzelne davon heraus, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und begann zu lesen.
»Mein Gott!«, stieß sie hervor und blickte ungläubig auf das, was sie las. Sie meinte für einen Moment ohnmächtig zu werden, aber das war nur, weil sie zu schnell aufgestanden war. Sie rannte nach unten, nahm die Karte mit der Telefonnummer von Julia Durant vom Tisch, erinnerte sich ihrer Worte, sie könne zu jeder Tages- und Nachtzeit bei ihr anrufen, und rannte wieder nach oben in das Arbeitszimmer. Es war jetzt fast halb zwei in der Nacht, ihre Finger zitterten, als sie die Tasten drückte. Sie ließ es lange klingeln und wollte schon wieder auflegen, als am andern Ende der Hörer abgenommen wurde.
»Hallo.«
»Frau Durant?«
»Ja, wer ist denn da?«
»Ramona Wiesner. Ich habe etwas gefunden. Etwas, das meinen Mann entlastet. Ich kann es kaum glauben.«
»Inwiefern entlastet?« Julia Durant setzte sich auf und rieb sich die Augen. »Er war doch nie belastet.«
»Nein, Sie verstehen nicht. Es geht um diesen Uhrendeal, ich habe Unterlagen gefunden. Er hat sie allerdings so gut versteckt, dass ich stundenlang gebraucht habe, um sie zu finden. Aber dieser Deal hat stattgefunden.«
Julia Durant war plötzlich hellwach. »Was sagen Sie da? Es hat diesen Deal tatsächlich gegeben?«
»Ja doch. Ich habe es hier schwarz auf weiß. Andreas, mein Mann, ist
Weitere Kostenlose Bücher