Das Syndikat
vielleicht?« Das Foto zeigte Thierry Traessart.
»Himmel, sie hatten Masken auf!«, schrie sie. »Zuerst waren sie zu zweit, dann ist einer gegangen. Schwarze Skimasken, wie hätte ich ... Mein Gott, wo ist mein Mann? Wo ist Paul?« Sie stürzte zum Telefon, das zwischen den Sitzkissen auf dem Sofa lag, und versuchte mit zitternden Fingern, die Tasten zu drücken. »Jetzt hab ich sogar seine Nummer vergessen! Ich hab seine Nummer vergessen!« Sie brach in Tränen aus. »Ich hab seine Nummer vergessen, ich kann mich nicht mal mehr an seine Nummer erinnern!« Sie schluchzte. »Weg, alles ist weg ... einfach weg ...« Sie schlug sich mit den Fäusten an den Kopf.
Karen wollte Mitleid mit ihr haben, aber es gelang ihr nicht, vielleicht stehe ich selbst noch unter Schock, sagte sie sich, und sie war froh, als Madame Michel mit beruhigender Stimme sagte:
»Nur mit der Ruhe, das haben wir gleich«, sie hängte Thérèse Cortot einen Morgenmantel um und nahm ihr das Telefon aus der Hand, »lassen Sie mich mal ...«
»Und wenn sie Paul etwas angetan haben?« Sie zupfte ihr kurzes Nachthemd über die dünnen, fast knochigen bleichen Beine, als würde sie erst jetzt begreifen, dass sie immer noch ihr Nachthemd trug. »Er arbeitet für das Verteidigungsministerium! Vielleicht haben sie ihn entführt und foltern ihn!«
»Jetzt denken Sie mal nicht gleich an das Schlimmste, meine Liebe«, versuchte es Madame Michel, und strich ihr über den Rücken. »Die Polizei ist sicher schon alarmiert.«
Karen erinnerte sich an ihr Handy. Sie war überrascht, dass sie es noch immer bei sich trug. Es zeigte acht Anrufe an – von Unbekannt.
Sie wählte die Nummer von Lanzelot .
»Karen! Wo bist du?« Es war Nyström, er klang ungewöhnlich aufgeregt. »Ich versuche die ganze Zeit, dich anzurufen. Warum gehst du nicht ans Telefon? Sie haben das CRSSA überfallen, Cortots Arbeitsstelle! Karen, sag was!«
Sie erklärte ihm kurz und so ruhig wie möglich, was passiert war.
Dass sie panische Angst gehabt hatte. Dass sie bedauere, ja, dass sie sich über ihre Dickköpfigkeit ärgere, ließ sie natürlich weg.
»Du hättest nicht allein fahren sollen«, sagte er dann.
Nyström hatte seine Quellen, und sie fragte nicht weiter, es war ihr im Augenblick auch egal, woher er es wusste. Aber was genau gestohlen worden war, wusste er nicht.
»Sie kontrollieren die Zufahrten nach Paris«, fuhr er fort, »man rechnet mit einem möglichen Anschlag. Übermorgen findet dort der internationale Kongress Verbannung von Biowaffen statt. Karen ... in diesem Institut experimentieren sie mit Anthrax und Ebola-Viren, es könnte ziemlich ungemütlich werden«, er zögerte, »komm zurück, so schnell du kannst.«
Sie reagierte nicht. Eine Frage schoss ihr durch den Kopf: »Wer wusste, dass ich in Cortots Wohnung wollte?«
»Lee, Teecee, ich ... Wieso? Denkst du ... jemand von uns hat dich verraten?«
Sie antwortete nicht. Vielleicht verfing sie sich in einer Paranoia wie in einem Netz. »Wo ist Lee?«
»Er ist ... unterwegs.«
Seine Antwort kam zögernd. Könnte Lee es gewesen sein?
»Karen?«
»Ich melde mich später.« Sie legte auf. Lee. Was wusste sie eigentlich über ihn? Nichts. Weder woher er kam, noch was er vor der Zeit bei Lanzelot gemacht hatte. Warum er sich überhaupt bei Lanzelot engagierte. Sie hatte ihn nie gefragt. Und Teecee? Und ... und was war mit Nyström?
»Was wollten Sie eigentlich in unserer Wohnung?«
Karen schreckte hoch und sah in das Gesicht von Thérèse Cortot. Ihre Lippen waren aufgeplatzt und blutig, das nahm sie erst jetzt wahr, und ihre Augen glänzten fiebrig.
Sie tat ihr leid.
»Ich habe Ihren Mann gesucht«, sagte Karen.
Thérèse Cortot kniff die Augen zusammen. »Wieso?«
Wo sollte sie anfangen? In Afghanistan? Bei Thierry Traessart, bei Globe? Karen berührte ihre Narbe, die wieder anfing zu brennen, als müsste sie sie an etwas erinnern. Da war der Schweißgeruch in der Wohnung, auch der erinnerte sie an etwas. Du hast doch keine Angst! Komm, ich zeig dir was ... Warum wiederholten sich die Sätze aus ihrem uralten Albtraum? Was bedeuteten sie und warum tauchten sie ausgerechnet in den letzten Tagen immer wieder auf? Ihr war, als würde sie tiefer und tiefer in ein düsteres Dickicht aus Träumen und Erinnerungen gezogen und als könnte sie sich nicht dagegen wehren. Es war, wie in einem Sumpf zu ertrinken, je mehr man strampelte und um sich schlug, desto stärker wurde man in die Tiefe gezogen.
»Es
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