Das Syndikat
dunklen Limousine, blickte auf die Motorräder, die ihren Konvoi auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt begleiteten, und dachte, wie schön es wäre, sich mit Syd im Taxi kutschieren zu lassen, ohne Leibwächter, einfach durch die Stadt zu schlendern, ungezwungen irgendwo Kaffee zu trinken und einen ganzen Abend ungestört in einem romantischen Restaurant zu verbringen. Ob so etwas überhaupt jemals wieder möglich sein würde? Wahrscheinlich nicht. Nun, dieser Verzicht gehörte auch zu dem Preis, den sie und Syd bereit waren zu zahlen. Während der letzten Stunden war ihr Ärger verflogen, er hatte sich umgewandelt in Sorge um Syd und um Ross’ Internetkampagne. Sie hatte nur kurz mit Syd sprechen können, er hatte sie beschwichtigt und ihr gesagt, dass er sie liebe. Jetzt, im Nachhinein, kam ihr Ärger ihr kindisch vor.
Darlene warf einen Blick auf die friedlich schlafende Silva neben sich auf der Rückbank der gepanzerten Limousine. Lichtstreifen liefen ihr übers Gesicht. Darlene drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Wenigstens war ihre Tochter bei ihr. Seltsam, dachte sie, obwohl sie ja wusste, dass sie nach außen hin unabhängig erschien, sie fühlte sich oft sehr einsam, wenn sie allein war, ohne Syd.
Syd.
Sie blickte auf ihre Uhr, nur noch ein paar Sekunden. Sie nahm ihr Telefon. Er war gleich dran.
»Happy Birthday, Sweetheart«, sagte sie.
»Pünktlich auf die Sekunde.«
»So wie du vor achtundvierzig Jahren«, sagte sie.
Er lachte leise.
Sie sah ihn vor sich, und sie wünschte sich, alles wäre wieder so wie früher. »Ich sage dir, in Zukunft werde ich alle Geburtstage mit dir verbringen, ganz egal, was passiert!«
»Okay ...«
»Keine Reden, keine Veranstaltungen werden mich daran hindern ... Syd?«
»Alles bestens, Darlene, ich ... ich danke dir, dass du das für uns tust.«
»Was? Dass wir nicht zusammen feiern?«
Sein Lachen klang verhalten. »Oh, ich glaube, da will mir jemand gratulieren. Rich ist gerade reingekommen. Mach dir einen schönen Tag, das Festival überstehst du mit links, und in zwei Tagen bist du schon wieder hier.« Auf einmal klang er gehetzt, er, der sich immer darum bemühte, souverän zu wirken. »Und gib Silva einen Kuss von mir.«
Als sie aufgelegt hatte, spürte sie nicht, wie sonst immer, dieses wunderbare Gefühl, das nur Syd in ihr hervorrufen konnte: das Gefühl, etwas Richtiges zu tun und gemeinsam für eine Sache einzustehen. Aber er war anders gewesen als sonst, als hätte sich ein Schatten über sein Strahlen gelegt.
66
Grenoble
Thierry Traessart setzte die Stirnlampe auf und blieb einen Moment auf dem Felsvorsprung stehen, um sich zu orientieren. Der Schnee glitzerte im Halogenlicht, dunkel ragten ihm die Krüppelkiefern zwischen schroffen Felsen entgegen. Er musste aufpassen, dass er nicht abrutschte, überall waren vereiste Stellen. Vorsichtig kämpfte er sich weiter, die festen Profilschuhe stieß er in die Felsvorsprüngen, die Hände klammerte er an die Felsspitzen. Er musste ihn finden. Lebendig. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Sein rechter Fuß tastete nach einem Halt, aber da war nichts, er drehte den Kopf über die Schulter, leuchtete hinunter ... Da! Tief unter ihm blitzte etwas auf. Metall. Endlich, sein Fuß fand einen festen Stein. Jetzt sah er noch einmal nach unten, diesmal genauer. Es war das Wrack des Chrysler, er konnte noch nicht einmal erkennen, ob der Wagen auf dem Dach lag oder auf der Seite.
Er konnte nicht überlebt haben.
Aber jetzt wollte er ihn wenigstens tot sehen. Er wollte dem Toten die Fragen stellen, die er dem Lebenden hatte stellen wollen, auch wenn er keine Antworten mehr bekommen würde ... Warum habe ich dieses Brodeln in mir? Warum diese Wut, diese Aggression? Warum kommt sie so plötzlich? Was ist in Afghanistan passiert?
Der grellweiße Strahl tastete weiter über den Schnee, über einen kleinen Vorsprung und berührte plötzlich Füße. Füße ohne Schuhe, seltsam verdrehte Beine, einen Körper, einen zur Seite gedrehten Kopf. Cortot ... Blut rann aus seinem Mund, die Augen waren geschlossen, Haare klebten auf seinem blutig zerschnittenen Gesicht. Er musste aus dem Fenster herausgeschleudert worden sein.
Thierry kletterte hinunter, so schnell er konnte, kniete sich in den Schnee, zog die Handschuhe aus und griff nach Cortots Handgelenk.
67
Ich bin tot. Oder? Er, Dr. Paul Cortot, war durch sein Leben gerast, grell und kreischend laut war es gewesen, so hatte er sein Leben nie erlebt, und dann,
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