Das Syndikat
schönste Frau, und er wusste, dass er nicht mehr leben wollte ohne sie. So fühlt sich Liebe an, dachte er noch, sie stieg aus, dort, vor dem Café, wo gerade ein Tisch frei geworden war, er wollte einen Parkplatz suchen.
Sie winkte mit dem Kind auf dem Arm, er sah die Parklücke schon, nur dreißig Meter weiter, da, im Rückspiegel schoss etwas heran, ein weißer Lieferwagen, in dem Augenblick wusste er, was passieren würde. Der Lieferwagen raste über den Bürgersteig in die Menschen hinein, ins Café und explodierte in einem Feuerball ... Deshalb war er so geworden. Sie hatten ihm alles genommen, und in diesem Nichts gedieh der Hass. Der Hass und nichts anderes, er wuchs wie ein Unkraut, wo nichts anderes wächst. Die Rache an der Welt und an den Menschen war ihm zum einzigen Lebenssinn geworden.
Das Mädchen schlief noch immer. Er hatte ihr vorhin das Klebeband vom Mund gezogen und gedroht, es ihr sofort wieder hinzukleben, wenn sie einen Mucks machte.
»Mann, jetzt haben wir’s bald hinter uns«, sagte Gilles und warf einen Blick in den Rückspiegel.
Tiger drehte sich nach hinten um. »Nur noch eine Frage von Minuten.«
»Von Stunden«, sagte Gilles genervt, »wenn das mit dem Scheißverkehr hier so weitergeht.«
»He, nur mit der Ruhe. Wer weiß, was nachher los ist, wenn die die Dinger finden«, sagte Tiger und gluckste.
»Die suchen hier doch gar nicht. Die suchen doch in Paris.«
»Ich weiß nicht, so blöd sind die auf Dauer auch nicht. Und die Berater der First Lady auch nicht«, sagte Gaddafi.
»Was?« Tiger sah sich zu ihm um. »Es geht um die First Lady? Sie wollen die Frau vom amerikanischen Präsidenten ...?« Er fing an zu lachen. »Mann! Wieso sagst du das erst jetzt?«
Weil ich dir nicht traue, wollte Gaddafi sagen, aber er hielt den Mund. Keine unnötigen Konflikte, so dicht vor dem Ziel.
»Und du, Gilles, du hast es auch gewusst?«
»Reg dich ab, Tiger!«, gab Gilles zurück und warf Gaddafi im Rückspiegel einen strafenden Blick zu.
Gaddafi sah aus dem Fenster. Dieser ganze Job war ein Fehler gewesen.
»Mann, ich fass es nicht!« Tiger stopfte sich drei Kaugummis in den Mund. »Kennst du 2012? Oder, Mann, wie heißt dieser andere Film, in dem ganz L.A. vor dem Erdbeben flüchtet, oder war’s ein Vulkan? Mann, ist ja auch egal, aber da waren alle auf den Straßen, alle haben ihr Zeug gepackt und ...«
»Was für ein Film?«, fragte das Mädchen.
Gaddafi sah zu ihr hinüber. Es war aufgewacht und rieb sich die Augen.
»He, die Kleine kennt ihn auch, was?« Tiger drehte sich um.
»Lass sie in Ruhe, Tiger«, sagte Gaddafi.
»He, spielst du jetzt Papa?«, fragte Tiger.
»Ich hab gesagt, du sollst sie in Ruhe lassen, okay?«
»Oh, Papa Gaddafi hat schlechte Laune«, sagte Tiger herausfordernd.
»Hört jetzt auf, euch zu streiten. Wir haben die Sache gleich hinter uns«, sagte Gilles.
Gaddafi warf einen Blick auf das Mädchen. Sie hofft immer noch, dass wir zu ihrer Mutter fahren, dachte er. Sie weiß nicht, dass ihre Mutter tot ist. Begraben unter Autoschrott.
In diesem Augenblick sah sie zu ihm herüber, nur kurz, aber ihre Blicke trafen sich, und er war sich nicht sicher, ob sie gerade zu ahnen begann, dass die Dinge anders lagen. Ein winziger Augenblick hatte sein ganzes Leben verändert. Warum sollte ein anderer winziger Augenblick sein Leben nicht ein zweites Mal verändern? Er hatte so viel Schuld auf sich geladen ... Konnte man so viel Schuld wiedergutmachen? Ja. Los, mach schon.
»Hört mal, wir ändern den Plan«, sagte er.
»Ach?« Beide drehten sich zu ihm um.
»Wir bringen sie auf keinen Fall zu diesem Wichser«, sagte Gaddafi.
»Was? Tickst du noch richtig?« Gilles musterte ihn im Rückspiegel.
»Der Typ ist ein fieses Schwein«, sagte Gaddafi.
»Der Typ ist unser Auftraggeber«, sagte Tiger Kaugummi kauend, »und wenn er sagt, wir sollen sie zu ihm bringen, dann bringen wir sie zu ihm, klar?«
»Er ist ein Sadist«, sagte Gaddafi.
»Das geht uns nichts an«, gab Gilles zurück.
»Passt auf«, sagte Gaddafi, »wir sollten den Typ im Restaurant erledigen und das Zeug aus dem Labor rausholen und in die Stadt bringen. Das war’s. Es ging nicht um einen Autounfall, und es ging erst recht nicht um ein Kind.«
»Mann, was ist auf einmal los mit dir?«, fing Tiger an. »Sobald sie bei ihm ist, kriegen wir den Rest der Kohle.«
»Und was glaubt ihr wohl, was er mit ihr macht?«
Das Mädchen sah Gaddafi an. Sie weiß schon viel zu viel, dachte er, aber
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