Das Syndikat
Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie es mit uns Menschen weitergehen soll? Die Menschheit soll sich weiterentwickeln, effizienter werden, friedvoller ...« Sein Blick ging zum Buch auf dem Schreibtisch. »Du hast es nicht ganz gelesen, nicht wahr?«, sagte er mit sanfter Stimme. »Du bist ein intelligenter Mensch, du würdest meinen Ausführungen sicher zustimmen.«
»Das glaube ich nicht.« Sie stand noch immer an seinem Schreibtisch. »Du willst das Verhalten der Menschen verändern, du willst sie steuern und manipulieren. Das ist krank.«
»Ah«, sagte er, »du hast es doch gelesen.«
»Du bist größenwahnsinnig!« Karen spürte, wie ihr Widerstand wuchs, wie sie sich immer stärker wünschte, einfach wegzugehen.
»Komm, ich zeig dir was.« Er stand auf.
Komm, ich zeig dir was ... Der Tunnel tat sich auf, der Tunnel, der geradewegs in den Albtraum führte.
Die Zeitmaschine lief an. Sie merkte, wie ihre Hände zu zittern anfingen und wie ihr die körperliche Nähe ihres Vaters die Luft nahm ...
Quälend lang dehnte sich die Fahrt im Aufzug, und als sie endlich unten angekommen waren, und die Türen auseinanderglitten, drängte Karen sich in panischer Eile hinaus – und prallte zurück.
Das war er. Der Flur aus ihren Träumen. Nur war er in Wirklichkeit nicht dunkel, sondern wurde von einer Leiste aus Neonröhren in ein fahles Licht getaucht.
»Hier müsste mal wieder renoviert werden.« Seine Stimme klang hohl.
Ihre Schritte klackten hell auf dem nackten Boden, während sie auf eine Tür zugingen.
Eine Eisentür mit Schweißnähten. Aber sie war nicht rot wie in ihrem Albtraum. Sie war grau. Aber das konnte sich ja ändern in neunundzwanzig Jahren.
»Schade, dass Jane nicht mitgekommen ist, aber im Rollstuhl wird das Reisen ja beschwerlicher, nicht wahr?« Er war stehen geblieben und gab neben der Tür einen Zahlencode ein. »Ich hätte ihr gern persönlich erklärt, worum es geht.«
Jeden Augenblick würde die Tür aufspringen, ein Spalt würde sich öffnen und langsam breiter werden, und endlich könnte sie sehen, was dahinter war, in diesem gleißenden Licht, endlich ... Was war so entsetzlich, dass es sich neunundzwanzig Jahre lang verkrochen hatte?
Flackernd sprang eine Wandbeleuchtung an. Stumm stand sie da, unfähig, sich zu bewegen.
103
Da war nichts.
Nur ein fensterloser Raum mit zwei Reihen Stühlen vor einem wandgroßen Bildschirm.
»Setz dich«, sagte er, und sie, irritiert, enttäuscht – oder erleichtert, gehorchte.
»Hast du schon mal eine Ameisenstadt gesehen?«, fragte er.
» Die Großartigkeit der erhabenen göttlichen Schöpfung? «, zitierte sie mit pathetischer Übertreibung.
»Oh, du hast mein Buch ja richtig gründlich gelesen!«
»Es stand im Prolog, und ich habe ein gutes Gedächtnis«, sagte sie. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und gegangen. Sie fühlte sich gefangen, was nicht nur an diesem Raum mit den Betonwänden lag, sondern vor allem an Vonnegut.
»Hast du mal beobachtet, wie effizient sie sind?« Er nahm neben ihr Platz und löschte per Fernbedienung das Licht.
Es war die Dunkelheit, die ihre Panik verstärkte, die Körper und Denken auf Widerstand schalten ließ, sie schwitzte, atmete flach und schnell, und sie stellte sich vor, wie sie aufsprang und die Tür aufriss – nein, wie sie sie aufreißen wollte , denn sie ließ sich nicht öffnen.
»So!«, hörte sie ihn auf einmal sagen, und dann warf der Bildschirm wenigstens ein bisschen Licht in den finsteren Raum. »Du wirst staunen!«
Der Film zeigte einen Ameisenbau von innen. Ein Gewusel von braunschwarzen Ameisenkörpern, die sich aneinander vorbei drängten, übereinander krabbelten, anhielten, kehrt machten.
»Jede Ameise weiß, wo ihr Platz ist, welche Aufgabe sie hat«, hörte sie Vonneguts Stimme neben sich. Sie nahm ihn immer noch als Winston Vonnegut wahr, als Mars und CIA-Agenten, als Mitglied des Syndikats und nicht als ihren Vater.
»Sie vergeuden ihre Energien nicht damit, zu rebellieren, zu sabotieren«, dozierte er weiter, »also brauchen sie auch keine Gerichte, keine Polizisten, keine komplizierte Gesetzgebung.«
Im Video liefen Ameisen in den Gängen hin und her, und wenn sie sich trafen, berührten sie sich manchmal mit den Fühlern und änderten dann ihre Richtung.
»Das System steuert sich selbst, und zwar durch Botenstoffe, die von den einzelnen Ameisen ausgesendet und aufgenommen werden und die ihr Verhalten bestimmen. Eine ungeheure Effizienz!«
»Du willst doch
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