Das Syndikat
Hatte »Raus hier!« gebrüllt, und dann hatte er auch noch die Hand gegen sie erhoben. Danach war sie nie wieder reingekommen, ohne vorher anzuklopfen.
»Moment, bin gleich fertig!«
»Thierry, bitte, du musst was essen. Du hast seit gestern nichts gegessen«, drang es durch die Tür.
»Keinen Hunger.«
»Aber was trinken.«
»Ich hab Wasser hier. Jetzt lass mich noch arbeiten.«
»Thierry, bitte ... bitte, so geht das doch nicht weiter ...«
Das Blut. Es fing wieder an zu kochen. Er spürte es brodeln, seine Finger verkrampften sich auf den Tasten. Bleib ruhig, mahnte eine innere Stimme, hör einfach nicht hin ... Er wollte doch nur seine Arbeit zu Ende bringen. Seine Gedanken sammeln. Er konnte doch nicht warten, bis auch er an einem Herzinfarkt krepieren oder sich aufhängen würde. Aber das konnte er ihr ja nicht sagen. Und was wäre dann mit den Kindern?
»Bitte, Marie ...«, brachte er gerade noch zustande, »geh runter und lass mich ...«
»Thierry, nein! So geht das nicht weiter!« Sie stand immer noch ganz dicht hinter der Tür.
Es reicht! Er sprang auf und riss die Tür auf, ihr entsetzter Blick traf ihn ohne Vorwarnung. Mein Gott, dachte er und wandte sich ab. Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und starrte auf den Monitor, bis er hörte, wie sie die Tür schloss und die Treppe hinunterging.
Er versuchte zu atmen, langsam und tief, und sah dann doch wieder auf die Zeitungsartikel vor sich auf dem Tisch. Vorhin hatte er sie ausgeschnitten.
Husky tötet drei Monate altes Baby
Tragisches Ende eines Wochenendes. Der Husky einer Familie aus Nantes fiel über das erst zwölf Wochen alte Baby her und tötete es. Die Eltern stehen unter Schock. »Der Hund gehörte zur Familie«, sagte der Polizeisprecher am Montag.
Er tötet es, stürzt sich einfach auf das Baby, reißt es in Stücke, reißt und beißt, die rote Wut in sich, sie brennt, brennt alles aus ihm heraus, bis alles tot ist, er selbst auch ...
Genau so muss es gewesen sein, wie für diesen Hund. Genau so.
Der Husky hatte am Sonntagabend, während die Eltern fernsahen, das Baby aus seinem Bett gezerrt. Der sofort herbeigerufene Notarzt konnte es nicht mehr retten. Der kleine Junge starb noch auf der Fahrt ins Krankenhaus an seinen schweren Bissverletzungen. Die Eltern stehen unter Schock und konnten noch nicht vernommen werden. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen die Eltern ein wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Außerdem wolle man herausfinden, ob es schon früher Anzeichen gab für ein aggressives Verhalten des Tieres.
Warum der Hund den Säugling angriff, können sich die Ermittler nicht erklären. »Vielleicht war das Tier eifersüchtig, weil es nach der Geburt des Kindes nicht mehr so viel Aufmerksamkeit von der Familie bekam«, vermutete der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Der Hund wurde eingeschläfert.
Wir waren nicht eifersüchtig, dachte er. Wir wollten töten. Es kam über uns wie der Heilige Geist.
Weiter mit dem Zeitungsausschnitt. Er kannte ihn schon auswendig.
Die Tragödie in Nantes ist kein Einzelfall. Vor zwei Monaten fiel ein sechs Wochen alter Säugling in Dijon einem Schäferhundmischling zum Opfer. Der Vater erschoss das Tier mit einem Jagdgewehr. Im vergangenen Oktober fielen zwei Kampfhunde in Marseille über einen sieben Jahre alten Jungen her und bissen ihn tot. Die Polizei erschoss die Tiere. Auch aus den USA werden ähnliche Fälle gemeldet. In San Diego fiel ein Labrador über ein Baby her. Es konnte jedoch gerettet werden.
Er sah auf, blickte wieder in das Gesicht. Blass, schmal, die Augen hinter den Brillengläsern ausdruckslos. Oder kalt? Desinteressiert. Wer bist du? Was hast du mit uns gemacht?
Du wirst es mir sagen. Ich finde dich. Seine Hand begann zu zittern.
30
Brüssel
Karen schrak hoch. Ein paar Augenblicke lang wusste sie nicht, wo sie war, ob sie noch lebte oder ob sie schon tot war, bis ihr klar wurde: Der Mann im weißen Hemd, da vor dem Monitor, war Jens Nyström, Hacker, Computerfreak, einer, dessen Welt aus Byte und Ram bestand, aus Informationen und Daten und dem ganzen technischen Kram, von dem sie nicht den blassesten Schimmer hatte. Sie war in den geheimen Unterwelten von Lanzelot , und das Schwere, Warme auf ihrem Oberschenkel war Gibbs’ Schnauze. Jetzt nahm sie sein gleichmäßiges tiefes Atmen wahr, und sie stellte fest, dass der Verband sich noch immer nicht rot färbte.
Dann erst sickerten wieder die schrecklichen Worte in ihr Bewusstsein.
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