Das Syndikat
solltet mal nach seinem ID-Chip sehen.«
»Scheiß auf deinen ID-Chip«, sagte Lee barsch.
Teecee drehte sich beleidigt weg und setzte sich wieder vor seinen Monitor.
»Der Verband ist erst mal okay«, sagte Nyström sachlich und stand auf. »Nachdem du angerufen hast, haben wir eine Suche gestartet. Nach Überwachungskameras.«
Auf sein Zeichen hin startete Teecee ein grobkörniges Video. Eine Kreuzung in einer ruhigen Wohngegend. Am rechten Bildrand konnte Karen Bürgersteig, Vorgärten und mehrere Reihenhäuser erkennen.
»Wir haben eine Überwachungskamera gefunden. Es wundert mich, dass sie dir noch nie aufgefallen ist«, sagte Nyström.
Die Kamera musste an der Ampel vor der Kreuzung, schräg vor ihrem Haus, angebracht sein. Vielleicht war sie ihr schon mal aufgefallen, aber sie hatte wohl gedacht, dass die Kamera nur die ersten Autos vor der Ampel einfangen würde, nicht auch noch ihren Garten und den Hauseingang.
»Wir haben uns die Uhrzeit gesucht, in der es passiert sein muss.« Nyström ließ das Video weiterlaufen.
Von rechts unten kam ein dunkler Wagen, ein Porsche, meinte sie zu erkennen, er parkte vor dem Nachbarhaus. Vor der Ampel hielten drei Autos, bei Grün fuhren sie weg. Jetzt öffnete sich die Fahrertür, der Mann, der ausstieg, war schlank, mittelgroß, sofort zog er sich eine schwarze Maske über den Kopf. Keine Chance, ihn zu erkennen. Der Mann ging zum Haus.
Nyström spulte vor, dann sah sie sich selbst aus der Tür kommen, erst in die eine, dann in die andere Richtung gehen, Gibbs kam hinzu, es folgte die Schießerei – ohne Ton sah es aus wie eine seltsame Pantomime. Und der Mann blieb die ganze Zeit unsichtbar.
Das Bild fror ein. »Wir versuchen, das Kennzeichen zu entziffern«, sagte Nyström. »Teecee tut sein Bestes.«
»Danke«, sagte sie. Sie ging zurück zur Couch und ließ sich neben den Hund sinken. Gibbs atmete gleichmäßig, es beruhigte sie, dass durch den Verband kein Blut sickerte.
Was war passiert? Ein Mordanschlag, Gibbs angeschossen, sie hatte einen Taxifahrer mit einer Pistole bedroht, Michael hatte sie verlassen. ... bevor ich anfange, dich zu hassen ... Wo war er jetzt? Bei wem?
Sie spürte, sie war zu erschöpft für irgendwelche Gefühle, für Bedauern oder Trauern. Sie war froh, dass Gibbs da war, der ihr nichts vorwarf, der keine Erklärungen forderte, der keine Fragen stellte, der nichts verlangte – der einfach nur da war. Sie streichelte das warme braune Fell. Es war noch immer feucht vom Schnee.
29
Metz
»Schatz?«
Marie. Thierry starrte in das Gesicht, in diese Augen hinter der Brille und versuchte Maries Rufe auszublenden.
Sie hatte schon zweimal die Treppe hinaufgerufen, und Thierry hatte es nicht geschafft, ihr zu antworten. Jorge ist tot, hat ihm seine Frau Céline gemailt. Hat sich erhängt. Auf der Baustelle, in seinem eigenen Haus. Stark wie ein Bulle, hat die schweren Reifen für die Lkws mit einer Hand geschleppt. Einer, der nur Wasser getrunken hat, der Fitteste überhaupt, und immer einen Witz parat, hängt sich einfach so auf ...
Thierry schlug sich an die Stirn. Wer glaubt denn so was! Noch einmal las er Jorges letztes Mail.
Wir haben’s getan. Und wir wissen nicht, warum. Wir bitten um Vergebung, wir waren nicht wir selbst. Und doch waren wir es. Und wir hatten ein gutes Gefühl dabei. Hemmungslose Aggression – wie eine Befreiung! Es gab keine Regeln mehr. Kein Du darfst nicht , nein, du darfst alles, alles rauslassen, deine ganze Wut. Und doch fragt man sich am Ende, wenn alles vorbei ist, ob es die eigene Wut war.
Wenn man sieht, wie viele Leben man ausgelöscht hat, sinnlose Tode, viel zu früh. Warum haben wir’s getan? Was ist mit uns passiert? Waren wir auf Speed? Waren wir Kampfmaschinen? ... Und dann das Vergessen. Oder kann einer von euch sich noch genau an das erinnern, was er getan hat? Hat einer von euch noch ein Gesicht vor Augen, in das er geschossen hat? Und weiß einer von euch noch, wie alles angefangen hat? Und wie es geendet hat? Irgendwann saßen wir in den Fahrzeugen, die uns abgeholt haben, die Hubschrauber waren weg.
»Schatz?« Marie klopfte. »Thierry?« Ihre Lippen müssen fast das Holz berühren, so nah klingt es, dachte er. Sie kam aber nicht rein. Das hatte er ihr verboten. Nicht ohne vorher anzuklopfen. Ich bin so konzentriert, dass ich erschrecke, wenn du reinkommst, ohne vorher anzuklopfen. So hätte er es ihr erklären können, ruhig und mit freundlicher Stimme. Hatte er aber nicht.
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