Das Syndikat
blieb.
Später, auf dem Weg zurück bis hinter seinem Haus, ging ihm die Frage durch den Kopf: Wie soll ich es ihnen erklären? Marie, Kinder, setzt euch mal brav auf die Couch. Und jetzt hört gut zu, was eurem Papa in der Nacht passiert ist. Versprecht mir, dass ihr es niemandem sagt. Hört ihr? Niemandem! Oh, sie wären mucksmäuschenstill und würden ihn mit ihren großen Augen ansehen. Also, da waren zwei Männer vor dem Haus. Ihr habt sie nicht gesehen, es war ja noch viel zu früh. Aber ich hab sie gesehen, denn ich kann nicht mehr schlafen. Papa hat die beiden bösen Männer ... Ob die Kinder schon wussten, was eliminieren heißt?
Im Wald, nein, da gehen wir die nächste Zeit nicht spazieren, Kinder ...
» Ich musste es tun«, sagte er jetzt laut zu sich, erklärte es der Welt – und Gott. »Ich musste sie töten. Sie hätten uns alle umgebracht. Uns alle. Marie und die Kinder auch. Ich musste sie töten.«
Der Scheibenwischer radierte die Worte aus, er musste sie immer und immer wieder sagen.
37
Metz
»Mein Gott«, flüsterte Marie Traessart immer wieder, »mein Gott ... Was ist das?«
Das Zimmer eines Paranoiden, dachte Karen sofort.
»Was bedeutet das alles?«
»Sie waren nie hier oben?«
Marie Traessart schüttelte den Kopf. »Er hat es mir verboten.«
Ein Windstoß fuhr durchs Zimmer, die unzähligen Zettel an der Giebelwand raschelten gespenstisch. Zeitungsausschnitte, Computerausdrucke, Landkartenschnipsel, Fotos von Kindern und Hunden. Dicke rote Pfeile verwiesen von einer Meldung zu einer anderen, quer über die ganze Wand. Und in der Mitte: ein Gesicht. Überlebensgroß.
Karen trat näher heran und begann zu lesen:
Jeder sechste US-Soldat in Afghanistan und jeder achte im Irak nimmt Berichten des Pentagon zufolge täglich stimmungsaufhellende oder stabilisierende Medikamente. Eine wachsende Zahl von kämpfenden Soldaten nimmt täglich Antidepressiva.
Karen wendete sich einer anderen Meldung zu.
Laut der Studie des Forschungsinstituts der britischen Streitkräfte muss die Armee jedes Jahr mehrere Hundert Soldaten wegen Drogenkonsums entlassen. Das Militär verliere mehr Personal durch Drogen als durch Todesfälle und Verletzungen während der Kampfeinsätze im Irak und in Afghanistan, heißt es. Vor allem habe sich die Zahl der Kokainabhängigen erhöht.
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dementierte, dass es einen Zusammenhang gebe zwischen dem Anstieg des Drogenkonsums unter den Soldaten und dem Beginn der Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan.
AFP/cn
Ein dicker roter Pfeil wies auf eine weiter oben hängende Nachricht hin.
Im Frühjahr 1944 wurde der Wunsch von dem deutschen Vizeadmiral Heye geäußert, ein Medikament zu erhalten, das den Soldaten der Deutschen Wehrmacht kampfstärker und selbstbewusster machen sollte. Dasselbe hatte bereits ein SS-Chef für seine Spezialeinheiten gefordert.
Tatsächlich wurde daraufhin von einem Team in Kiel die sogenannte D-IX-Tablette entwickelt. Sie bestand aus fünf Milligramm Kokain, drei Milligramm Pervitin, fünf Milligramm Eukodal (ein schmerzstillendes Morphinpräparat) sowie einem synthetischen Kokain der Firma Merck. Letzteres war schon im Ersten Weltkrieg bei Jagdfliegern im Einsatz gewesen.
Getestet wurde das Präparat an Gefangenen des KZs Sachsenhausen.
Besonders herausgestrichen wurden das extrem verringerte Bedürfnis nach Schlaf und die offensichtliche Ausschaltung des eigenen Willens.
Ausschaltung des eigenen Willens ... wiederholte Karen in Gedanken.
»Ich verstehe nicht, warum er das alles ...« Weiter kam sie nicht. Entsetzt starrte sie auf eine andere Nachricht.
Wie erst jetzt bekannt wurde, fiel vor zwei Wochen im südfranzösischen Fourcalquier ein Labrador ein Baby an. Er soll es aus dem Kinderwagen gezerrt haben. Die Mutter, die zu Besuch bei der Hundebesitzerin war, konnte ihm ihr Baby entreißen und es retten. Der Hund war zwei Jahre zuvor der Familie zugelaufen. »Er hat noch nie so etwas getan, er war überhaupt nicht aggressiv, selbst Katzen jagte er nicht«, sagte die völlig verzweifelte Hundebesitzerin, selbst Mutter eines fünfjährigen Mädchens. Der Hund wurde getötet. Ihm war ein Jahr zuvor ein sogenannter Kastrations-Chip eingesetzt worden, der die Bildung von Testosteron unterdrückte und damit sein Sexualverhalten steuerte. Die Hundebesitzerin will nun klären lassen, ob ein defekter oder fehlgesteuerter Chip das plötzliche aggressive Verhalten ausgelöst haben kann.
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