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Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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und sie mit einem ordentlichen Preisaufschlag auf der Straße weiterverkauft. Und so weiter.
    Wie man Geld vermehrte, faszinierte ihn, erfüllte ihn mit tiefster Zufriedenheit. Mit Glück. Es machte ihn zu einem Schöpfer.
    Im Augenblick fühlte er sich allerdings nicht recht glücklich. Sogar ein wenig unbehaglich. Er lag im Arbeitszimmer auf seiner barocken Chaiselongue, strich sich nachdenklich über den Kopf mit den wenigen noch verbliebenen Haaren und ließ das Blatt Papier sinken.
    Himmel! Vonneguts Abhandlungen kamen mindestens einmal die Woche und bereiteten ihm regelmäßig Magendrücken. Visionen zu haben war das eine, schön und gut, die hatte er auch, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sein Freund es ein wenig übertrieb, ja, er schien regelrecht den Boden unter den Füßen verloren zu haben. Ein verrückter Patriot, na ja, immerhin Patriot.
    Er musste das unbedingt mit Emerson besprechen.
    Emerson, richtig, höchste Zeit, sich anzuziehen, er trug immer noch Morgenrock und Pantoffeln, nach dem Aufstehen hatte er irgendwie die Stunden vertrödelt.
    »Hermès!«
    Das ausdruckslose Gesicht seines Dieners tauchte im Türspalt auf. Manchmal fragte er sich, ob der Dreiundfünfzigjährige – an Zahlen erinnerte er sich genau – nicht doch ein geheimes Leben hatte. Wie hielt man es aus, sich den ganzen Tag herumkommandieren zu lassen? Aber vielleicht gab es ja tatsächlich solche Menschen, die sich dabei wohlfühlten, und er dachte wieder an das, was er gerade eben gelesen hatte. Trotzdem überfiel ihn manchmal die Lust, Hermès mal so richtig zu schockieren, irgendetwas musste ihn doch aus seiner Gleichgültigkeit reißen, oder nicht? Irgendwann würde ihm schon etwas einfallen.
    »Sie wünschen, Herr Baron?«
    »Bringen Sie mir meinen Preiselbeersaft, sonst ertrag ich’s nicht. Mich juckt’s schon überall.« Tatsächlich musste er sich kratzen, am Nacken, auf der Brust, am Hinterkopf ...
    »Wie Sie wünschen.«
    »Halt, warten Sie. Was halten Sie von Ameisen?«
    »Wie meinen, Herr Baron?«
    »Na, Ameisen, diese schwarzen Krabbelviecher!« Er war sich mal wieder nicht sicher, ob Hermès wirklich begriffsstutzig war oder ob er sich manchmal nur so gab.
    Sein Diener hob nur leicht die Brauen. »Nun, sie sind lästig, und wenn ich eine sehe, zertrete ich sie. Wenn es viele sind, sprühe ich Gift.«
    »Danke, Hermès!« Der Baron klatschte begeistert in die Hände.
    »Der Saft kommt sofort«, sagte Hermès emotionslos.
    Ein großartiger Name für einen Diener, dachte Dubois. »Gut, gut«, sagte er nur und erhob sich mühsam. Himmel, das Alter! »Wenn Emerson früher kommt, sagen Sie ihm, ich bin gleich so weit. Er soll schon mal die Steine verteilen.«
    »Sehr wohl, Herr Baron.« Hermès verließ lautlos das Zimmer.
    Der Baron hob das Blatt Papier. Emerson würde heute ein bisschen warten müssen. Der Text war einfach zu interessant.
    Ameisen sind die Lebewesen mit der größten Bevölkerungsdichte auf der Erde. Sie leben in gut organisierten Kolonien, die man auch Superorganismus nennen kann. Durch ein ausgereiftes Kommunikationsnetz sind sie fähig, die verschiedensten Aufgaben ohne Befehlskette zu erledigen. Die einen ziehen Nachkommen auf, die anderen kämpfen und verteidigen, wieder andere schaffen Nahrung heran oder befruchten die Königin.
    Er hatte sich ja schon mit allerhand verrückten Sachen beschäftigt, aber das hier ...
    Wie ist es möglich, dass Kolonien von solcher Größe – oft mehrere Quadratkilometer groß (es gibt eine Kolonie, die sich über halb Südeuropa ausbreitet) – ohne Polizei auskommen, ohne Hierarchie? Ohne Befehlsstruktur? Ein riesiges Ameisenreich also. Die Frage ist doch: Wie steuert sich dieses System?
    Dubois faltete das Blatt Papier zusammen und verschloss es in der Schublade seines mit Rokokoornamenten verzierten Schreibtischs. Er ging zum Fenster. In der Ferne des schneeschwangeren Himmels wurde ein schwarzer Punkt allmählich größer. Der gute Emerson schwebte aus London heran, um Backgammon mit ihm zu spielen. Der Baron rieb seinen Siegelring über den Morgenmantel, bis die blaue Weltkugel glänzte.
    Ameisen, so was!
    Er schüttelte den Kopf.
    Hermès ging hinunter in die große Küche. Als er die Frischhalteschüssel aus dem Kühlschrank nahm, entdeckte er auf den Bodenfliesen eine Ameise. Er beobachtete sie eine Weile. Sie streckte ihre Fühler in alle Richtungen, lief ein paar Schritte nach links, kehrte um, lief nach rechts, kehrte wieder um, schien zu

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