Das Syndikat
warten. Hermès öffnete den Deckel, nahm ein kleines Stückchen Kartoffel heraus, legte es auf den Boden und beobachtete, wie die Ameise es zuerst befühlte und dann mit ihren Scheren zu fressen versuchte. Er schloss die Augen und zählte bis zehn. Als er sie wieder öffnete, liefen schon vier Ameisen aufgeregt um das Stück Kartoffel herum, wobei sie sich gegenseitig mit den Fühlern berührten. Das Stück war zu groß und durch die Mayonnaise zu schwer, sodass sie es nicht abtransportieren konnten. Also machte sich eine auf den Weg hinter den Kühlschrank – um Futter zu melden. Hermès schüttelte den Kopf. Dann schaltete er die Abhöranlage im Wintergarten an.
53
Grenoble
Mein Gott, was sollte er sagen?
Dr. Paul Cortot ging im Labor auf und ab. Er war allein, seine beiden Mitarbeiter waren im Haus unterwegs. Eine Antwort, bis – er sah auf die Uhr – in zwanzig Minuten. Eine halbe Million. Sie hatten ihn ein Mal gekauft, warum sollten sie es nicht ein zweites Mal probieren?
Es hatte wie ein Befehl geklungen. Und der kam nicht von Belling . Aber wer steckte sonst dahinter?
Er putzte seine Brillengläser. Die Bilder waren so klar ... Er in der Wüstenfleck-Uniform, neben Koolmans, marschierte durch das spanische Camp. Vorbei an Wohncontainern bis zu einem großen, zeltartig gespannten Tarnnetz, unter dem Stühle und ein Stehpult standen.
Ein Jeep brauste heran, drei Männer in Uniform sprangen heraus und marschierten aus der Staubwolke heraus auf ihn zu. Zuerst war er sich nicht sicher, dann aber gab es keinen Zweifel. Dieser hochgewachsene, durchtrainierte Mann mit dem breiten Lächeln und dem kantigen Kinn war Winston Vonnegut persönlich. Es stand sogar auf seiner Uniform. Vonnegut: Chef und Gründer der Belling Group, zu der auch Globe gehörte als PMC, als Private Military Company. Er müsste schon Ende sechzig sein, dachte Cortot, wirkte aber um Jahre jünger mit seinem elastischen Gang, den flinken blauen Augen, der gesunden Bräune und den dichten weißen Haaren.
Cortot war zufrieden, mehr als zufrieden, geehrt, sozusagen. Man zollte ihm Respekt. Man wusste, wer er war und was er zu bieten hatte. Ganz im Gegensatz zu seinem Arbeitgeber, dem CRSSA , das ihn behandelte, als wäre er jederzeit ohne Schwierigkeiten durch einen anderen zu ersetzen.
Vonnegut streckte ihm die Hand entgegen und beugte sich etwas herunter. Cortot wunderte sich, denn der Händedruck war kräftig und konkret, ganz und gar unamerikanisch, wie er fand.
Als Vonnegut sogar noch ein halbwegs französisch klingendes Bonjour Doc! zustande brachte, fand Cortot ihn vollends sympathisch, und die letzte Spur von Zweifel oder, besser gesagt, Skrupel vor dem, was er gleich tun würde, verflüchtigte sich.
»Schön, dass Sie dabei sind. Haben Sie sich schon umgesehen? Nennen Sie mich Winston.« Sein Lächeln förderte ein tadelloses kräftiges Gebiss zutage, was in Cortot den nächsten Komplex aktivierte. Seit früher Jugend hatte er beim Lachen die Lippen immer zusammengepresst. Und jetzt auch noch diese Vertraulichkeit mit den Vornamen, wo er sich doch hinter seinem akademischen Titel so sicher aufgehoben fühlte. Der Doktorgrad schützte ihn, entschuldigte seine nur eins dreiundsiebzig, seinen schmächtigen Körper, die schiefen Zähne, die Blässe, seine Brille ...
»Wie war der Heli-Flug? Bisschen gewöhnungsbedürftig, was?« Vonneguts stahlblaue Augen blitzten jugendlich.
Cortot versuchte genauso fröhlich zu sein wie Vonnegut, nein, Winston musste er ihn ja jetzt nennen, er brachte aber nur ein laues »Nun ja, da haben Sie recht« hervor, begleitet von einem zurückhaltenden Lächeln. Gegen Vonneguts erdrückende Präsenz, gegen seine lässige Dominanz und sein strahlendes Äußeres kam er nicht an, auch nicht in der Uniform.
»Wir wollten Ihnen unser Werk in Málaga nicht vorenthalten, sonst hätten Sie gleich nach Sevilla fliegen können, das wäre ein bisschen näher gewesen.« Vonnegut sprach mit lauter, klarer Stimme, und Cortot fiel auf, wie leise er selbst sprach.
Es ging noch ein bisschen hin und her, ein bisschen Small Talk, was Cortot nicht sonderlich gut beherrschte und ihn nervöser machte anstatt entspannter, und der Gedanke durchzuckte ihn, er könnte sich zu weit vorgewagt haben, ja, er fühlte sich wie ein Spieler aus der Zweiten Liga, der glaubt, in der Ersten mithalten zu können. Am liebsten hätte er gleich alles hinter sich gebracht und wäre schon wieder auf dem Weg nach Hause. Oder noch besser, er
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