Das System
Vielleicht enthält nur ein Teil dieser Textblöcke das echte Programm, vielleicht
muss man sie irgendwie umgruppieren. Aber das finde ich schon noch raus.« Ihre Augen blitzten vor Tatendrang.
|296| Ein warmes Gefühl erfüllte Mark bei dem Gedanken, dass er Lisa tatsächlich geholfen hatte. Doch da war noch etwas, das seine
Freude über ihre Anerkennung trübte. Etwas, das ihn schon seit einiger Zeit störte, das er aber bisher verdrängt hatte. Gerade
als er Lisa darauf hinweisen wollte, sprach sie seinen Gedanken aus: »Sag mal, findest du nicht auch, dass es hier ziemlich
verbrannt riecht?«
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73.
Hamburg-Harburg,
Freitag 9:37 Uhr
Hauptkommissar Unger saß auf einem cordbezogenen Sofa in Professor Weisenbergs Wohnzimmer. Auf dem Fernseher in der Ecke,
einem altmodischen Kasten, der noch eine richtige Bildröhre hatte, lag eine dünne Staubschicht. Die Sofakissen waren so ordentlich
drapiert, dass es aussah, als sei der Raum gerade eben für einen Möbelprospekt aus den siebziger Jahren hergerichtet worden.
Nur der spektakuläre Ausblick auf die Elbe sagte etwas über den besonderen Status des Bewohners aus.
»Und Sie glauben wirklich, dass dieses Computerprogramm … denken kann?«, fragte Unger.
Weisenberg nickte langsam. »Ich halte es für möglich.« Unger fragte sich, warum seine blassen Augen mit den tiefen Tränensäcken
um so vieles klüger wirkten als die Augen der meisten Menschen.
»Sehen Sie, schon seit den sechziger Jahren versucht man, denkende Computer zu bauen«, erklärte der Professor. »Ursprünglich
glaubten die Computerpioniere, nur ein paar Jahre zu brauchen, bis sie den ›General Problem Solver‹ konstruiert hatten, der
jedes denkbare Problem schneller lösen konnte als ein Mensch. Doch dann hat man gemerkt, dass der menschliche Verstand viel
komplizierter ist, als man |297| gedacht hatte, und das Ziel rückte in immer weitere Ferne.« Er nippte an seinem Tee. »Seitdem ist eine Menge Zeit vergangen.
Die Leistungen künstlich intelligenter Systeme wurden umso besser, je schneller die Computer in unseren Labors arbeiteten.
Irgendwann hat ein Computerprogramm zum ersten Mal den Schachweltmeister geschlagen, aber wir haben gemerkt, dass es viel
schwieriger ist, einem Computer beizubringen, sich im täglichen Leben zurechtzufinden, als Schach zu spielen. Wir haben uns
dem großen Ziel mit Trippelschritten genähert. Jeder KI-Forscher hatte seine eigene Meinung, wie lange es dauern würde, bis
wir Computer haben, die in jeder Hinsicht mit Menschen vergleichbare Denkleistungen vollbringen können. Manche dachten an
fünfzig Jahre, die Optimisten eher an zwanzig bis dreißig. Es gibt aber auch immer noch viele, die es für vollständig unmöglich
halten, eine Maschine zu bauen, die wirklich denken kann.« Weisenberg schüttelte den Kopf. »Es scheint, als hätten wir die
ganze Zeit etwas Wichtiges übersehen. Die Entwicklung der Computer fand nicht nur in den Forschungslabors der Universitäten
statt. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Rechenleistung der Universitätscomputer vertausendfacht. Aber die Zahl der
Computer hat sich ebenfalls mehr als vertausendfacht. Das bedeutet, die Gesamtleistung der Computersysteme, die über das Internet
miteinander verbunden sind, ist mindestens um den Faktor eine Million gestiegen. In zwanzig Jahren. Und sie wächst weiter
exponentiell. Wenn nun ein Computerprogramm in der Lage wäre, sich im Internet auszubreiten und diese gewaltige Rechenleistung
zu nutzen …«
»Herr Professor, ich verstehe nicht viel von diesen Dingen«, unterbrach Unger. »Und mir fällt es immer noch schwer zu glauben,
dass ein Computerprogramm absichtlich einen Menschen ermordet haben soll. Selbst wenn es so wäre, muss ich zumindest die zweite
Möglichkeit ausschließen: Dass nämlich am Ende doch menschliche Absicht hinter |298| allem steckt. Und dafür brauche ich zunächst ein mögliches Tatmotiv. Wenn ich das kenne, kenne ich wahrscheinlich auch den
Täter.«
Weisenberg nickte. »Nun, geschafft zu haben, was Generationen von Wissenschaftlern vergeblich versuchten, ist sicher etwas
wert. Ich kenne mich in finanziellen Dingen nur insofern aus, als ich die Entwicklung an den Aktienmärkten statistisch analysiert
habe. Aber ich weiß zumindest, dass Firmen mit weit geringerem technischen Vorsprung an der Börse Milliarden wert sind.«
»Das heißt, derjenige, der das Geheimnis dieses
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