Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
und hinterließ nur einen Lichtstreifen, als hätte der einheitlich graue Horizont eine Lücke. Alles, alles – Debbie schüttelte den Kopf – wirklich alles war einfach unnatürlich, unheimlich, beängstigend. Und dort unten waren Geräusche zu hören, als ob die kanadische Armee einmarschierte.
Nur leider – Debbie konnte nichts erkennen. Denn was immer vor sich ging, es spielte sich hinter dem Parkplatz ab, dort, wo die Straße nach Fields führte.
Sie musste sich so schnell wie möglich anziehen und die Lage kontrollieren. Sie wollte sich schon umdrehen, als ihr Blick wieder zum Himmel zurückkehrte und zum Regen. Sturzbäche ergossen sich über die gepflasterten Wege, der Rasen schien eine einzige Matschwiese zu sein und der Lake Mirror – er kroch beharrlich und unerbittlich über das Ufer und hatte bereits den Uferweg verschluckt. Debbie starrte auf die aufgewühlte Wasserfläche.
Wer wird der Nächste sein?
»Ich nicht«, hatte sie gesagt.
ICH NICHT.
Und alle hatten gelacht.
Debbie lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie wandte sich fröstelnd ab, zog den rosafarbenen Bademantel mit dem Hello-Kitty-Muster vom Sessel und hüllte sich darin ein. Das hatte dieselbe beruhigende Wirkung wie eine Tüte dieser Zuckerdinger mit Erdbeergeschmack.
Ihr Blick fiel auf die Sonderausgabe der Zeitschrift Mysteries, die sie gestern aufgeschlagen auf ihrem Schreibtisch hatten liegen lassen. Debbie hatte sich für das Thema Weltuntergang interessiert, solange sie denken konnte. Grandma Martha hatte ihr schon als kleines Kind immer wieder erklärt, dass die Menschheit verdammt sei. Stand ja schließlich schon in der Bibel. Wenn ihre Ängste nachts zu groß waren und sie schreiend aufgewacht war, hatte Grandma ihr immer versichert, dass sie sich nicht zu fürchten brauchte. Es sei gut, hatte sie erklärt, wenn die Welt untergehe, weil dann endlich der Erlöser käme, um die Dinge in Ordnung zu bringen.
20.03.2013. Was hätte Grandma Martha wohl gesagt, wenn sie ihr das Datum hätte nennen können?
Okay, sie musste sich zusammenreißen. Fokussieren. Priorität 1: Der Parkplatz. Sie sprang auf und riss mit einer Hand beide Türen zum Kleiderschrank auf.
Himmel, was sollte sie anziehen? Die Fächer waren vollgestopft, aber sie konnte sich nicht entscheiden.
Schließlich griff sie nach einer Strumpfhose und zerrte sie über ihre Beine. Der Stoff spannte über ihrer Haut. Frechheit. Die Collegewaschmaschinen im Keller waren viel zu heiß eingestellt, ständig liefen ihre Sachen ein.
Dann streifte sie ihr eidottergelbes Strickkleid über und griff nach ihrem Handy, während sie die Tür aufschloss. Flur und Küche waren leer. Rose und Julia schliefen bei David und Chris. Sie seufzte. Unter normalen Umständen hätte sie sich langsam überlegt, die beiden zu melden. Aber nun waren andere Dinge wichtiger.
Debbie trat in den langen Gang und lief ins Treppenhaus, das Handy an ihr Ohr gepresst. Verdammt, schon wieder besetzt.
Der schnelle Ton ging ihr auf die Nerven. Nervös kratzte sie sich am linken Unterarm und leckte dann automatisch das Blut ab, das über die Haut rann.
Sie drückte die automatische Wahlwiederholung.
Draußen noch immer der Höllenlärm. Und hier im Gebäude selbst Totenstille. Merkwürdig, dabei war der Großteil der Fenster hell erleuchtet gewesen, als sie aufgestanden war.
Das Tuten an ihrem Ohr brach ab. Seit gestern hatte sie diese Nummer bereits zwanzigmal gewählt. Mindestens zehnmal war sie überhaupt nicht durchgekommen, fünfmal war besetzt gewesen und die restlichen Versuche hatte man sie mit Mozarts Kleiner Nachtmusik vertröstet, um sie dann aus der Leitung zu werfen. Und als sie die E-Mail mit der Bitte verschicken wollte, die Redaktion solle sie zurückrufen, und zwar sofort, hatte das Internet gestreikt. Sie seufzte laut. Sie würde sich nachher die Systemadministratoren vorknöpfen müssen.
Debbie eilte die Treppe hinunter. Abermals drückte sie die Wahlwiederholung.
Immerhin, diesmal schaffte sie es in die Warteschleife.
Das übliche Geklimper und …
»Sie werden sofort mit dem nächsten freien Mitarbeiter verbunden«, äffte sie die Automatenstimme nach und wackelte mit dem Kopf.
Ha, ha, ha.
Sie würde sich das nicht gefallen lassen. Sie hatte schließlich schon seit drei Jahren die Zeitschrift abonniert. Sie hatte ein Recht auf Information.
»Bitte bleiben Sie am Apparat. Sie werden sofort mit dem nächsten freien …«
»Mitarbeiter verbunden«, ergänzte sie
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