Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
sehen. David hatte sich solche Ewigkeiten eingebildet, in Julia verknallt zu sein, dass er darüber Rose übersehen hat. Aber als er es endlich kapiert hatte, war kein Halten mehr.
Chris würde jetzt spotten, ich sei nur neidisch.
Bin ich auch.
Ich denke an Tom.
Ich kann einfach nicht kapieren, warum er das Band durchtrennt hat. Das Band, das ihn mit dem Leben verbunden hat, mit den anderen hier am College, mit mir. Durch das, was er getan hat, bekam alles, was ich vorher mit ihm erlebt habe, den bitteren Beigeschmack des Todes. Hätte er mir von dem Plan erzählt, hätte ich ihn stoppen können?
Hätte ich ihn verraten?
Natürlich hätte ich das und das wäre auch das Ende gewesen. Doch es hätte sich besser angefühlt und einige Menschen würden jetzt noch leben.
Ich streife die rosa Schlafanzughose ab und ziehe das orangefarbene Unterhemd über den Kopf. Ich will darüber nicht mehr nachdenken. Wie immer in den letzten Tagen fühle ich mich schwindelig. Als wäre ich bekifft. Und vielleicht bin ich das auch? Was, wenn ich mir den Joint hinter dem Aktenordner reingezogen habe, ohne mich daran zu erinnern?
Ich halte in der Bewegung inne, was nicht gut ist, denn sofort verschwimmen die Konturen vor meinen Augen. Und als ob das nicht genügen würde an morgendlicher Übelkeit, schweben auch noch Luftballonfarben nach oben wie Seifenblasen. Noch so ein Phänomen, das erst aufgetaucht ist, seitdem ich die Medikamente abgesetzt habe.
Ich lasse sie vorbeiziehen. Meistens zumindest. Nur werden sie gerade in diesem Moment zu Sprechblasen. Mein letztes Gespräch mit Tom, der Tag, bevor er ausgerastet ist, bevor er sich in die Luft gesprengt hat, drängt sich ins Bewusstsein.
Wir waren auf dem Weg vom Supermarkt zurück ins College. Das Wetter war regnerisch, dicke Wolken zogen über uns hinweg. Und Tom, versunken in tiefem Schweigen, lief neben mir her.
Es war Prüfungszeit. Alle waren angespannt und jeden Abend dachte sich einer was Neues aus, womit wir uns amüsieren konnten.
Für diesen Abend hatten wir uns im Kino verabredet. Tom hatte keine Lust, nein, er sagte: »Ich kann nicht.«
Er sah mich nicht an, daran erinnere ich mich noch. Er war nervös, geradezu fahrig. Und ich, total paranoid, deutete das als Zeichen, dass er Schluss machen wollte. Schließlich war mir eines klar: Tom gehörte zu den Leuten, die sich schnell langweilen.
Gereizt und panisch warf ich ihm vor: »Du triffst dich mit jemand anderem.«
Tom holte zum Gegenschlag aus: »Mutierst du jetzt zum Kontrollfreak?«
Jetzt schweben die Sprechblasen nicht mehr, sie explodieren geradezu.
»Ich frage ja nur.«
»Es gibt eine Macht, die größer ist als wir. Es wird Zeit, dass du das endlich kapierst.«
»Aus welchem Film stammt das denn?«
Tom sah mich nur verständnislos an, was mich hätte stutzig machen sollen. Dann tippt er sich mit dem Finger an die Stirn: »Alles spielt sich nur dort oben ab. Gerade bei dir. Das nervt.«
Diese Antwort beruhigte mich verständlicherweise nicht gerade. Und dann fügte er hinzu: »Du kommst auch noch an die Reihe.«
Ich erinnere mich, dass ich auf die Steinplatten der Treppe starrte, die hoch zum Collegebäude führten. Wie ich jetzt die Fliesen betrachte, während ich in die Duschwanne steige.
»Auch du sitzt hinter Gittern. Deine Gedanken sind eingesperrt. Sie wollen raus, verstehst du?«
»Freiheit für alle Denker.« Wie immer, wenn ich in die Enge getrieben werde, machte ich mich lustig.
»Kapierst du nicht?«, Tom klopfte mit der flachen Hand gegen seine Stirn.
»… das Geratter. Es bringt mich um den Verstand.«
Und mich macht das ständige Geratter der Fragen wahnsinnig. Warum habe ich nicht darauf geachtet? Warum habe ich ihn nicht ernst genommen? Ihn einfach gehen lassen?
Ich schließe die Augen und sehne mich nach … nach irgendetwas um, das mir die Unruhe nimmt und die Bilder verbannt, die mich quälen. Diese Flashs, die hinter meiner Schädeldecke ihr Spiel mit mir treiben, sich anfühlen wie Erinnerungen, nur dass sie einfach keinen Sinn ergeben.
Während sich der Rest draußen in Normalität übt, werde ich mit meiner anderen Welt konfrontiert. Der gekachelte Fußboden zu meinen Füßen hebt und senkt sich. Dann beginnen die Fliesen an der Wand auseinanderzudriften. Die Fugen bilden tiefe Schluchten, als das Badezimmer um mich herum sich ausdehnt wie ein eigenes Universum.
Das ganze Badezimmer zieht sich in alle Richtungen auseinander. Ich kann nichts dagegen tun. Alle
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