Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
Passagieren«, fügt Julia hinzu.
»Terroristen?«
»Nein«, erwidert Chris. Er sieht sich beunruhigt um. »Wann fangen die endlich an?«
Da wir zu spät gekommen sind, finden wir nur noch einen Platz auf der Galerie, was nicht das Schlechteste ist. Ich trage die Kamera jetzt um mein Handgelenk und fuchtele damit herum, um Debbie einzufangen, die sich unten den Weg durch die Menge bahnt. Rücksichtlos kämpft sie sich nach vorne, wo sich die Häuptlinge positioniert haben.
Dean Richard Walden, Professor Vernon und Brandon stehen dort, wo normalerweise der Flachbildschirm die neuesten Informationen und Nachrichten anzeigt, vor dem Mikrofon und warten darauf, dass sich die Unruhe legt.
»Los doch!«, murmelt Chris neben mir. Julia starrt stumm, die Hände in den Taschen ihres Anoraks, als ob ihr kalt ist. Kann ich nicht verstehen. Mir jedenfalls läuft der Schweiß den Rücken hinunter. Der Kamin glüht und die Halle ist so vollgestopft, dass allein die Körpertemperatur der vielen Studenten das Thermometer auf eine Raumtemperatur von achtundzwanzig Grad ansteigen lässt.
Katie steht direkt hinter mir. David und Rose haben sie in ihre Mitte genommen. Ich rücke zur Seite und mache eine einladende Kopfbewegung, doch Katie reagiert nicht.
Katie ist tough. Normalerweise bringt sie nichts aus der Fassung. Und wenn, zeigt sie es nicht. Und jetzt? Sie hebt kaum den Blick und scheint nichts von dem wahrzunehmen, was sich hier abspielt. Sie hat sich verabschiedet, einfach weggebeamt. Ich kenne das. Und ich respektiere es, deshalb habe ich auch meine Kamera sinken lassen. Egal, was alle sagen. Ich bin kein Voyeur. Nicht, wenn es um meine Freunde geht. Schließlich hasse ich es auch, wenn jemand versucht, meine top secrets ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Das habe ich nach Tom verstanden.
Sie haben Tim Yellad an der Brücke gefunden, wie schon Susan, Jenn und Taylor. Und genau wie die anderen hat auch Tim sich erhängt. Ich kann es nicht fassen. Katie war von ihrer Joggingrunde am See gekommen und auf die Absperrung der Polizisten und der Security gestoßen. So hatte sie davon erfahren.
War Tim es eigentlich, der die Frage gestern Abend gestellt hat, wer von uns der Nächste ist? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich sehe immer nur diese gezackte Narbe vor mir, im flackernden Licht dort auf dem Parkplatz. Und diesen Blick, als er mich gebeten, nein, als er mir befohlen hat, ihn am Bootshaus zu treffen.
Ich werde das beschissene Gefühl nicht los, ich sei der Letzte gewesen, mit dem er geredet hat. Dass sein Tod mit mir zusammenhängt – damit, was er mir sagen wollte.
Selbstmord? Daran glaube ich keine Sekunde.
Ich wende den Blick von Katie ab und sehe über die Brüstung nach unten. Überall Gemurmel. Überall Studenten, was mich an die Insel aus Life of Pi erinnert. Millionen von Erdmännchen, die neugierig und erschreckt die Köpfe recken, um nichts zu verpassen.
Wie immer gibt es Probleme mit dem Mikrofon. Einer der Sicherheitsleute dreht daran herum. Vernon spielt an seiner Krawatte, als würde er sie wie einen Kompass nach Norden ausrichten, und Brandon lehnt lässig an der Wand. Eigentlich könnte das ein Zeichen dafür sein, dass die Lage nicht hoffnungslos ist, aber Walden macht den Eindruck wieder zunichte, indem er sich ständig mit einem riesigen karierten Taschentuch über die Stirn wischt. Das erinnert mich an Mr Kowalski auf seinem Schrottplatz bei vierzig Grad in der Sonne, wenn er auf Polnisch fluchte über dieses verdammte Wetter und eigentlich nur Schiss hatte, weil Ronnie und ich in irgendeinem Schrottwagen saßen und rauchten.
Ich hebe die Hand und ziehe Kreise in der Luft, um möglichst die ganze Szenerie mit der Kamera einzufangen. Meine Linse erfasst Debbie – und was tut sie? Sie denkt, ich winke ihr, und sie winkt zurück. Ich kann nicht anders. Ich muss lachen. Das hört sich für die anderen vielleicht so an wie – ach, wie immer … Ben nimmt nichts ernst … ich aber spüre, wie mir etwas die Kehle zuschnürt. Und als sei das nicht genug, klatscht von draußen dieser Horrorregen noch immer gegen die großen Scheiben. Die Männer in ihren Arbeitsanzügen, die sich nach wie vor an den Ufern des Sees zu schaffen machen, zerfließen zu orangefarbenen Flächen und scheinen davonzuschweben. Ich hebe die Hand und lasse die Kamera einfach laufen. Irgendwie spacig.
»Wann geht das endlich los?«, fragt Chris erneut, als Walden sich vor das Mikrofon stellt und ein Räuspern durch
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