Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
die Halle dringt. Es klingt, als würde er rülpsen. Ich bin nicht der Einzige, der das verwechselt. Unterdrücktes Gelächter macht sich breit. Was mich betrifft, handelt es sich um einen Lachreflex, wie er einen auf Friedhöfen überkommt.
»Guten Morgen«, ertönt Waldens Stimme.
Das Gemurmel und Gelächter verstummt so schnell, als hätte er einen Schalter gedrückt.
»Was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, fällt mir nicht leicht.« Wieder wischt er sich mit dem Taschentuch über die Stirn. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die Polizei und die Regierung von British Columbia eine Schließung des Colleges angeordnet haben.«
Der lähmenden Stille folgt Tumult. Bewegung kommt in die Menge. Hier und da ein Aufschrei, dann wird Walden mit Fragen bombardiert. Walden löst das Mikro aus der Halterung und hebt die Hand: »Ich bitte um Ruhe. Ruhe. Alle Ihre Fragen werden beantwortet.«
»Lügner.«
Ich zucke zusammen. Katie schiebt sich zwischen Robert und mich. »Warum können sie es nicht einfach zugeben? Warum können sie nicht sagen: Scheiße, wir haben keine Ahnung, was vor sich geht, warum einer nach dem anderen hier im Tal krepiert. Warum sagen sie nicht: Ab sofort ist jeder auf sich selbst angewiesen. Rette sich, wer kann.«
Ich bin erleichtert, dass Katie wieder reagiert.
Der Punkt ist nur, dass die Fragen der Menge um uns herum nicht die sind, die wir uns insgeheim stellen. Unsere Kommilitonen geben sich schnell damit zufrieden, dass Walden erläutert, die Selbstmordserie müsse aufgeklärt werden.
»Der Tod von Superintendent Harper hat uns alle tief getroffen. Umso mehr geht es jetzt darum, die Umstände seines Todes zu ermitteln. Zudem hat es einen weiteren Todesfall gegeben. Der Journalist Sammy Linford wurde heute Morgen hier oben tot aufgefunden.«
Ich hebe wieder das Handgelenk, um den Radius der Kamera und das Weitwinkelobjektiv voll auszuschöpfen.
Ein Raunen geht durch die Menge, das eher dem Grusel geschuldet ist als dem Toten. Wie auch. Niemand hier oben kennt einen Sammy Linford und der Name Tim Yellad fällt nicht. Wie gesagt, alles Erdmännchen dort unten. Die sind auf das pure Überleben gepolt. Keiner fragt nach den Gründen, nach dem Zusammenhang zu Harper, nach den seltsamen Aktivitäten auf dem Gelände. Nein, irgendein Student, ein Freshman mit Krawatte, Anzug und frisch polierten Haaren – vermutlich Hauptfach Jura oder … Wirtschaft … erkundigt sich stattdessen, ob das College Kontakt mit anderen Colleges aufnehmen wird, um das weitere Studium zu sichern.
Vernon hat angefangen, hin und her zu laufen wie in einem Käfig. Walden übergibt das Mikrofon Professor Brandon. »Das dürfte kein Problem sein. Schließlich gehören Sie zu den besten Studenten der USA und Kanada.« Selbst von hier aus kann ich sehen, wie er lächelt, bevor er fortfährt. »Ich bin sicher, die Colleges und die Universitäten des Landes werden sich um Sie reißen.«
Erneut setzt Gemurmel ein.
Ich mag Brandon. Wirklich. Er ist der Einzige, mit dem ich über Toms Tod geredet habe. Aber manchmal geht mir seine joviale Art tierisch auf die Nerven. Vielleicht auch nur, weil sich um mich garantiert kein College reißen wird. Ich wundere mich wieder, wie schnell sich die angebliche Elite von morgen von derartigen leeren Versprechungen beruhigen lässt.
»Mr Fox, Sie haben eine Frage?«
Eine Art Welle geht durch die Menge. Alle wenden sich mir zu. Hunderte von Gesichtern. Ich halte den Arm noch immer ausgestreckt. Es war eine Scheißidee, die Kamera am Handgelenk zu befestigen.
Ich will schon den Kopf schütteln, als eine Stimme die erwartungsvolle Stille durchschneidet.
»Wann?«
Wie Robert das macht? Keine Ahnung. Aber sobald er seine Stimme erhebt, hat das eine ähnliche Wirkung wie damals, als sich vor Moses das Rote Meer teilte. Zack. Stille.
»Sie haben genug Zeit, um Ihre Sachen zu packen. Morgen stehen die Busse ab 8:00 Uhr morgens zur Abreise bereit.«
Unwillkürlich sehe ich auf die Datumsanzeige meiner Armbanduhr. Heute ist der 18. März. Morgen, am 19. März, wird unsere Zeit im Tal enden. Und was wird übermorgen sein?
Gemurmel erhebt sich. Hier und da auch laute Protestrufe, aber Revolutionen sehen anders aus. Keiner stürmt die Bastille, den Winterpalast, sprich das Gebäude muss keinem Ansturm standhalten – außer dem wütenden Brüllen des Regens – aber das ist vermutlich nur der erste Schock. Ich bin sicher, ein Teil der Studenten geht bereits im Kopf durch, ob die Koffer
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