Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
Raum und stelle mich an den Küchenschrank, wo ich eine Packung Cornflakes herausziehe, auf die Chris mit einem fetten Filzer seinen Namen geschrieben hat. Meine Hand fährt in den Karton und holt eine Portion heraus. Den Rest, der zu Boden fällt, schiebe ich mit dem Schuh unter den Schrank.
»Ben – endlich!« David ist der Einzige, der mich überhaupt wahrzunehmen scheint, er mustert mich besorgt.
»Was spielt ihr hier?«, versuche ich testweise einen Witz. »Heilige Familie? Oder die Szene unter dem Kreuz?«
Niemand reagiert. Ich merke, wie die Angst in mir aufsteigt.
»Keine Vorlesungen heute?«
»Fallen aus.« Robert antwortet mir und das ist wirklich ungewöhnlich. Unser Supernovaheld beschäftigt sich normalerweise nicht mit Alltagskram.
Ich starre ihn an, aber er hebt den Blick nicht vom Bildschirm.
»Ist eine Seuche unter den Dozenten ausgebrochen?«
Nun erbarmt sich Rose meiner. Natürlich, es ist immer Rose, die sich erbarmt. »Es gibt eine Versammlung. In einer halben Stunde. Der Dean wird etwas verkünden. Hast du nicht die Durchsage gehört?«
Ich ahne, dass das nicht alles ist.
»Noch etwas?«, frage ich.
»Sie sperren es ab.«
»Was?«
»Das Gelände. Sie machen hier oben alles dicht. Sieh mal aus dem Fenster.«
Richtig klar ist mir nicht, was sie damit meint. Das Handtuch mit einer Hand festhaltend, öffne ich die Tür zu meinem Zimmer.
Das brummende Geräusch von heute Morgen ist immer noch da, nur steht jetzt fest, dass es nicht aus meinem Kopf kommt, sondern von draußen.
Der Blick aus meinem Fenster ist bizarr. Die Szene dort unten auf dem Rasen vor dem Lake Mirror wirkt wie die Vorbereitung eines militärischen Manövers.
College-Security und Männer in orangefarbenen und grauen Anzügen, die sich die Kapuzen über die Köpfe gezogen haben, um sich vor dem Regen zu schützen, schleppen Bauzäune durch die Gegend und laden Betonplatten von mehreren Lastwagen. Arbeiter sind dabei, das Ufer mit Sandsäcken zu sichern. Andere tragen Absperrgitter durch die Gegend. Und ein Trupp Mounties befehligt das Ganze.
Automatisch greife ich nach der Kamera, die auf meinem Schreibtisch liegt.
Es stimmt wirklich, was Tim gestern Abend gesagt hat. Das hier hat ein Ende. Eher, als wir gedacht haben. Und ich habe keinen Plan B.
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Es ist kurz vor zehn. Gut vier Stunden, bis ich Tim am Bootshaus treffen werde. Dass ich hingehe, daran gibt es für mich keinen Zweifel mehr. Und mittlerweile ist es nicht mehr nur, weil ich erfahren will, woher Tim von Ronnie weiß. Sondern weil ich begreife, dass er mir vor allen anderen eine Chance gibt.
In diesem Moment bringt Debbies aufgeputschte Stimme die heilige Stille im Apartment zum Einsturz. »Ich habe es gewusst«, kreischt sie. »Ich habe es immer gewusst. Und ihr seid darauf hereingefallen. Vor allem Katie. Wo ist sie überhaupt? Ich möchte echt ihr Gesicht sehen, wenn sie es erfährt.«
Nun, niemand sagt ihr, wo Katie ist. Leider weiß ich es auch nicht, sonst würde ich sie sofort herzitieren, weil Debbie immer gut für eine spannende Szene ist und zusammen mit Katie könnte daraus ein richtiger Spaß werden.
Ich laufe zu den anderen zurück, die Kamera im Anschlag. Sie ist geeignet, Wellen auszuhalten, Stürme, Autofahrten – sie wird auch mit Debbie Wilder fertig. Und eigentlich sollte ich Debbie dankbar sein, sie hat es geschafft, Plan B einige Plätze auf meiner Prioritätenliste nach unten zu verschieben.
Debbie steht neben dem Küchentisch. Ihr Gesicht ist weiß, aber hektische rote Flecken auf den Armen lassen sie aussehen, als hätte sie irgendeinen ekelhaften Ausschlag. Das gelbe Strickkleid spannt über ihrem massigen Körper, die Wolle hat sich voller Wasser gesaugt. In ihrer Hand hält sie irgendein zerfleddertes Magazin.
»Was ist passiert, Deb?« Rose löst sich von David und umkreist den Tisch.
»Gleich. Ich muss erst aufs Klo.« Sie presst die Beine zusammen, als sei sie vier. »Immer wenn ich aufgeregt bin, muss ich pinkeln. Aber ich bin nun mal sensibel …«
Sie verschwindet im Bad, die Klospülung rauscht und in der nächsten Minute steckt sie schon wieder den Kopf heraus.
»Hier steht ja alles unter Wasser. Könnt ihr nicht mal putzen?«
Debbies Gesicht hat immer etwas von einem Affen. Einem gelben Schimpansen.
»Deb …«, seufzt Rose. »Erzählst du uns nun, was los ist?«
»Oh, ich hasse es, wenn ich schlechte Nachrichten überbringen muss.«
»Na, klar.« Ich weiß, Chris
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