Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
überzieht sein Gesicht. Er lehnt sich zurück. Zögert kurz und sagt. »Ich hätte vielleicht wissen müssen, wie es endet. Aber … es war eine andere Zeit. Alles war in Bewegung, im Aufbruch. Der menschliche Geist, der über Grenzen geht, der sich befreit …« Brandon seufzt. »Risiko? Das spielte keine Rolle. War nur eine Phrase der vorhergehenden Generation. Für uns schien alles möglich. Ich glaube wirklich, hätten Paul oder Grace gewusst, sie würden dort oben sterben, sie hätten es in Kauf genommen. Es ging darum, Erfahrungen zu sammeln. Und selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte sie nicht aufhalten können.«
»Futurum I«, sagt Chris leise. »Mein Vater hat genau das beschrieben.«
Brandon nickt. »Bishop, dein Vater war der freieste Geist, den ich je getroffen habe. Vielleicht war genau das seine Schwäche. Und er ist nicht gestorben, weil er sich schuldig fühlte.«
Chris zuckt zusammen. Er blickt auf. Sein Blick trifft den von Brandon. »Dein Vater ist an seinen Idealen zugrunde gegangen.«
Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf. Ich bin, wie sie waren. Ich will sein, wie sie waren. Brandon beschreibt die Grenzen, die ich immer gespürt habe. Meine Eltern … sie waren die besten der Welt. In ihrem Sinne. Aber … was, wenn ich bei meiner leiblichen Mutter aufgewachsen wäre? Bei Kathleen Bellamy. Ich erinnere mich daran, wie ich sie in meinen Halluzinationen getroffen habe oder wie immer man diesen Zustand bezeichnen soll, der mich in eine fremde Vergangenheit katapultiert.
»Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können«, murmelt Brandon. »Nietzsche hat das gesagt und dein Vater hat daran geglaubt.«
Das Leben ist bizarr, denke ich. Die Grenzen, die Mom und Dad sich gesetzt hatten, bestanden aus einer Vorstadtvilla, einem sicheren Einkommen und der Idylle eines perfekten Familienlebens. Dagegen kann man nur schwer ankämpfen. Aber unbewusst habe ich genau das getan. Warum sonst meine Freundschaft zu Ronnie? Meine Liebe zu Tom? Mein Leben war einfach zu perfekt.
Ich muss sie treffen, schießt es mir durch den Kopf, ich muss Kathleen Bellamy, meine Mutter, treffen. In der Realität.
»Paul, Milton, Grace … Sie waren meine … Freunde«, sagt Brandon. »Damals – als die Suchmannschaft mit Nanuk Cree an der Hütte ankam und alle verschwunden waren … da habe ich gehadert. Freiheit hat ihre Grenzen. Aber es war schon immer mein Fehler, das nicht akzeptieren zu wollen.«
Für eine Weile schweigen wir und lassen die Worte in uns hineinsacken, bis Chris fast tonlos sagt:
»Wie reagierte mein Dad … mein Vater?«
»Er war entsetzt, völlig außer Fassung … und ließ sich durch nichts beruhigen. An diesem Tag … habe ich ihn zum ersten Mal betrunken erlebt. Er hat danach aufgehört zu arbeiten.«
»Nicht freiwillig …«
»Nein, er wurde suspendiert.«
»Warum? Weil er getrunken hat?«
»Deswegen auch, aber das war nicht der einzige Grund. Er steigerte sich da in etwas hinein. Behauptete, er würde verfolgt. Und es gäbe Spuren und Beweise, dass das Experiment von Anfang an scheitern sollte. Man hätte die Studenten mit Absicht in den Tod geschickt.«
»Und wer sollte das gewesen sein?«
Brandon starrt regungslos auf Ike. »Ich weiß es nicht«, flüstert er. »All die Jahre, und ich kann es immer noch nicht verstehen. Paul. Milton, Kathleen … « Ich zucke bei dem Namen zusammen, doch Brandon scheint es nicht zu bemerken.
Eine Pause entsteht, bis Chris sich aufrichtet und Brandon direkt ansieht: »Wenn mein Vater wirklich dieser freie Geist war, den Sie beschreiben, warum … warum hat er sich dann für sein Schweigen bezahlen lassen?«
Wovon spricht er?
Brandon zieht die Augenbrauen hoch. »Du meinst die Stiftung?«
»Stiftung oder wie auch immer … ich habe seine Kontoauszüge durchgesehen. Er hat monatlich über viertausend Dollar erhalten. Von einer Gesellschaft, die sich Solomon nennt.«
»Das war kein Schweigegeld, Chris. Er wurde für seine Forschungen bezahlt.«
»Und Sie?«, frage ich. »Wohin sind Sie gegangen … danach?«
»Das College wurde geschlossen … wie jetzt wieder. Ich musste ganz von vorne anfangen.«
Wieder sekundenlanges Schweigen. Mein Blick schweift über den Raum. Zwar sind bereits einige Regale leer geräumt, aber nicht alle.
Brandon räuspert sich, greift nach dem Glas und nimmt einen Schluck. »Es tut mir leid. Ich kann euch nicht helfen. Und glaubt mir, ich wünschte es mir mehr als alles andere auf
Weitere Kostenlose Bücher