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Das Tal der Angst

Das Tal der Angst

Titel: Das Tal der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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bleich und erschöpft, wie das eines Menschen, der einen schweren Schock erlitten hat; aber sie benahm sich gefaßt, und ihre auf der Tischkante liegende, fein geformte Hand war ebenso ruhig wie die meine. Ihre traurigen, flehenden Augen wanderten von einem Gesicht zum anderen mit einem seltsam forschenden Ausdruck. Dieser fragende Blick verwandelte sich plötzlich in abruptes Sprechen.
    »Haben Sie schon etwas herausgefunden?« fragte sie.
    Bildete ich es mir nur ein, daß in ihrer Frage eher ein Unterton der Angst denn der Hoffnung mitschwang?
    »Wir haben jeden möglichen Schritt unternommen, Mrs. Douglas«, sagte der Inspektor. »Sie können sich darauf verlassen, daß nichts außer acht gelassen wird.«
    »Scheuen Sie keine Kosten«, sagte sie mit erloschener, flacher Stimme. »Es ist mein Wunsch, daß man jede erdenkliche Anstrengung unternimmt.«
    »Vielleicht können Sie uns etwas erzählen, was ein wenig Licht auf die Angelegenheit wirft.«
    »Ich fürchte, nein; aber ich stehe Ihnen mit allem, was ich weiß, zur Verfügung.«
    »Wir haben von Cecil Barker erfahren, daß Sie in Wirklichkeit gar nicht gesehen … daß Sie gar nicht in dem Raum waren, wo die Tragödie geschehen ist?«
    »Nein; er hat mich auf der Treppe umkehren geheißen. Er bat mich, in mein Zimmer zurückzukehren.«
    »Richtig. Sie hatten den Schuß gehört und waren sofort heruntergekommen.«
    »Ich habe meinen Morgenrock angezogen und bin dann heruntergekommen.«
    »Wie lange dauerte es – nachdem Sie den Schuß gehört hatten –, bis Sie auf der Treppe von Mr. Barker aufgehalten wurden?«
    »Vielleicht zwei Minuten. Es ist sehr schwierig, in einem solchen Moment eine Zeitspanne abzuschätzen. Er beschwor mich, nicht weiterzugehen. Und er versicherte mir, daß ich nichts mehr tun könne. Dann führte mich Mrs. Allen, die Haushälterin, wieder nach oben. Es war alles wie ein entsetzlicher Traum.«
    »Können Sie uns ungefähr angeben, wie lange Ihr Gatte schon unten war, bevor Sie den Schuß hörten?«
    »Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen. Er war zuvor in seinem Ankleidezimmer, und ich habe ihn nicht gehen hören. Er machte jeden Abend seine Runde durchs Haus, denn er hatte Angst vor Feuer. Meines Wissens war es das einzige, wovor er überhaupt Angst hatte.«
    »Das ist genau der Punkt, auf den ich hinauswill, Mrs. Douglas. Sie haben Ihren Mann erst in England kennengelernt, nicht wahr?«
    »Ja. Wir sind seit fünf Jahren verheiratet.«
    »Hat er Ihnen gegenüber je etwas erwähnt, was in Amerika vorgefallen sein und eine Gefahr für ihn bedeutet haben könnte?«
    Mrs. Douglas dachte ernsthaft nach, bevor sie antwortete.
    »Ja«, sagte sie schließlich. »Ich hatte immer das Gefühl, daß ihm Gefahr drohte. Er lehnte es jedoch ab, mit mir darüber zu sprechen. Nicht aus mangelndem Vertrauen zu mir – zwischen uns gab es nur vollkommenste Liebe und Vertrauen –, sondern weil es sein Wunsch war, jede Beunruhigung von mir fernzuhalten. Er dachte, ich käme darüber ins Brüten, wenn ich alles wüßte; deshalb hat er geschwiegen.«
    »Woher haben Sie es dann gewußt?«
    Über Mrs. Douglas Gesicht leuchtete ein rasches Lächeln.
    »Kann denn ein Mann sein ganzes Leben lang ein Geheimnis mit sich herumschleppen, ohne daß seine ihn liebende Frau Verdacht schöpft? Ich wußte es in vielerlei Hinsicht. Ich wußte es aus seiner Weigerung, über einige Episoden seines Lebens in Amerika zu sprechen. Ich wußte es aus bestimmten Vorsichtsmaßnahmen, die er getroffen hat. Ich wußte es aus bestimmten Wörtern, die er fallenließ. Ich wußte es aus der Art, wie er unerwartet auftauchende Fremde ansah. Ich war mir völlig sicher, daß er einige mächtige Feinde hatte, daß er glaubte, sie seien ihm auf der Spur, und daß er immer auf der Hut vor ihnen war. Ich war mir dessen so gewiß, daß ich jahrelang vor Angst vergangen bin, wenn er einmal später als erwartet nach Hause kam.«
    »Darf ich fragen«, sagte Holmes, »welche Wörter das waren, die Ihre Aufmerksamkeit erregt haben?«
    »›Das Tal der Angst‹«, antwortete die Lady. »Das war ein Ausdruck, den er gebrauchte, wenn ich ihm Fragen stellte. ›Ich war im Tal der Angst. Ich bin noch nicht draußen.‹ ›Sollen wir denn nie aus dem Tal der Angst hinausgelangen?‹ habe ich ihn jeweils gefragt, wenn er mir ernster vorkam als gewöhnlich. ›Manchmal glaube ich, wir schaffen es nie‹, hat er dann geantwortet.«
    »Sie haben ihn doch gewiß gefragt, was er mit diesem Tal der Angst

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