Das Tal der Angst
Untersuchung des Falles zu tun?«
»Ich muß die Frage wiederholen.«
»Schön, und ich verweigere die Antwort.«
»Sie können die Antwort verweigern, aber dann müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß Ihre Verweigerung an sich schon eine Antwort ist, denn Sie würden sie ja nicht verweigern, wenn Sie nicht etwas zu verbergen hätten.«
Barker stand einen Augenblick lang mit grimmigem Gesicht da; er dachte angestrengt nach, und seine kräftigen, schwarzen Augenbrauen zogen sich tief herab. Dann sah er auf und lächelte.
»Na gut, ich schätze, die Gentlemen tun schließlich nur ihre Pflicht, und ich habe kein Recht, Ihnen dabei im Weg zu stehen. Ich möchte Sie nur bitten, Mrs. Douglas nicht mit dieser Frage zu belästigen; sie hat jetzt schon genug auf dem Hals. Ich darf Ihnen versichern, der arme Douglas hatte nur einen einzigen Fehler, und das war seine Eifersucht. Er mochte mich sehr – kein Mann könnte einen Freund noch mehr mögen. Und seine Frau hat er angebetet. Er liebte es, wenn ich hierher kam, und hat immerzu nach mir geschickt. Und doch, wenn seine Frau und ich miteinander sprachen oder es nur den Anschein von Sympathie zwischen uns gab, konnte ihn die Eifersucht wie eine Welle überkommen, und er brauste auf und sagte im Nu die wildesten Sachen. Mehr als einmal habe ich deshalb geschworen, nicht mehr zu kommen, und daraufhin konnte er so reuige, flehentliche Briefe schreiben, daß ich einfach nachgeben mußte. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, Gentlemen – und wenn es mein letztes wäre: Kein Mann hatte jemals eine liebevollere, treuere Frau – und außerdem darf ich behaupten, daß kein Freund loyaler sein könnte als ich.«
Das war mit Inbrunst und Gefühl gesprochen; dennoch konnte Inspektor MacDonald das Thema noch nicht als erledigt betrachten.
»Sie wissen«, sagte er, »daß man dem Toten den Ehering vom Finger gezogen hat?«
»Es scheint so«, sagte Barker.
»Was meinen Sie mit ›scheint‹? Sie wissen doch, daß das eine Tatsache ist.«
Der Mann schien verwirrt und unschlüssig.
»Wenn ich ›scheint‹ sage, dann meine ich, es wäre ja denkbar, daß er sich den Ring selbst abgenommen hat.«
»Die bloße Tatsache, daß der Ring fehlt – wer immer ihn entfernt haben mag –, muß doch wohl jeden auf den Gedanken bringen, daß zwischen der Ehe und der Tragödie ein Zusammenhang besteht, oder?«
Barker zuckte mit den breiten Schultern.
»Ich will mir nicht anmaßen, zu sagen, auf welche Gedanken das einen bringen muß«, erwiderte er. »Aber wenn Sie damit andeuten wollen, es könnte ein gewisses Licht auf die Ehre dieser Lady werfen« – einen kurzen Moment lang flackerten seine Augen auf; dann hatte er sich, mit sichtlicher Mühe, wieder in der Gewalt –, »also, da sind Sie auf dem Holzweg, und damit basta.«
»Ich glaube, ich habe im Augenblick keine weiteren Fragen an Sie«, sagte MacDonald kühl.
»Da wäre noch eine Kleinigkeit«, bemerkte Holmes. »Als Sie das Zimmer betraten, brannte nur eine Kerze auf dem Tisch, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt.«
»In ihrem Licht haben Sie erkannt, daß etwas Schreckliches vorgefallen war?«
»Genau.«
»Sie läuteten sofort um Hilfe?«
»Ja.«
»Und diese traf auch sehr rasch ein?«
»Ungefähr nach einer Minute.«.
»Aber als die anderen eintrafen, fanden sie eine erloschene Kerze und eine angezündete Lampe vor. Das scheint doch höchst bemerkenswert.«
Wieder ließ Barker Zeichen einer gewissen Unschlüssigkeit erkennen.
»Ich kann daran nichts Bemerkenswertes finden. Mr. Holmes«, erwiderte er nach einer Pause. »Die Kerze strahlte ein sehr schwaches Licht aus. Mein erster Gedanke war, ein helleres zu bekommen. Die Lampe stand auf dem Tisch, und da habe ich sie angezündet.«
»Und die Kerze ausgeblasen?«
»Genau.«
Holmes stellte keine weiteren Fragen, und Barker sah uns, einen nach dem anderen, ruhig an – mit einem Blick, in dem mir etwas Herausforderndes zu liegen schien; dann machte er kehrt und verließ den Raum.
Inspektor MacDonald hatte ein Billett nach oben geschickt, des Inhalts, daß er Mrs. Douglas seine Aufwartung in ihrem Zimmer zu machen gedenke; aber sie hatte geantwortet, sie wünsche uns im Eßzimmer zu empfangen. Nun trat sie herein, eine hochgewachsene und schöne Frau von dreißig Jahren, reserviert und zu einem bemerkenswerten Grade selbstbeherrscht; sie unterschied sich durchaus von der tragischen und aufgewühlten Gestalt, die ich mir im Geiste ausgemalt hatte. Ihr Antlitz war zwar
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