Das Tal der Angst
der Theke stand, zeigte sich nicht überrascht, als der Inspektor unter seinen Gästen auftauchte.
»Einen Whisky pur, die Nacht ist bitterkalt«, sagte der Polizeibeamte. »Ich glaube, wir kennen uns noch nicht, Councillor?«
»Sie sind wohl der neue Captain?« sagte McGinty.
»So ist es. Wir hoffen, daß Sie, Councillor, und die anderen einflußreichen Bürger uns helfen, Recht und Ordnung in dieser Gemeinde aufrechtzuerhalten. Ich bin Captain Marvin – von der Coal and Iron.«
»Ohne Sie kämen wir besser zurecht, Captain Marvin«, sagte McGinty kalt. »Wir haben nämlich unsere eigene Gemeindepolizei und keinen Bedarf nach importierter Ware. Was sind Sie denn anderes als ein bezahltes Werkzeug der Kapitalisten – angeheuert, um Ihre ärmeren Mitbürger niederzuknüppeln oder niederzuschießen?«
»Na, na, darüber wollen wir uns doch nicht streiten«, sagte der Polizeibeamte gutmütig. »Ich würde sagen, wir alle tun unsere Pflicht so, wie wir sie auffassen; bloß fassen wir sie nicht alle gleich auf« Er hatte sein Glas ausgetrunken und sich zum Gehen gewandt, als sein Blick auf das Gesicht von Jack McMurdo fiel, der mit finsterer Miene neben ihm stand. »Halloo! Halloo!« rief er und sah ihn von oben bis unten an. »Hier ist ja ein alter Bekannter.«
McMurdo fuhr vor ihm zurück.
»Ich war in meinem Leben noch nie ein Freund von Ihnen oder von einem anderen verdammten Cop«, sagte er.
»Ein Bekannter ist ja nicht immer ein Freund«, sagte der Polizeicaptain grinsend. »Sie sind doch eindeutig Jack McMurdo aus Chicago, das wollen Sie doch nicht leugnen.«
McMurdo zuckte mit den Achseln.
»Ich leugne es auch nicht«, sagte er. »Glauben Sie, ich schäme mich meines Namens?«
»Jedenfalls hätten Sie guten Grund dazu.«
»Was zum Teufel meinen Sie damit?« brüllte er mit geballten Fäusten.
»Nicht doch, Jack; Aufplustern verfangt bei mir nicht. Ich war Polizist in Chicago, bevor ich in dieses verdammte Kohlenloch gekommen bin, und ich erkenne einen Gauner aus Chicago, wenn ich einen sehe.«
McMurdo machte ein langes Gesicht.
»Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß Sie Marvin von der Chicago Central sind!« rief er.
»Genau derselbe alte Teddy Marvin, stehe zu Diensten. Wir haben dort oben den Mord an Jonas Pinto nicht vergessen.«
»Ich habe ihn nicht erschossen.«
»Nein? Und das soll ich verstehen als die Aussage eines völlig Unbefangenen, oder wie? Sein Tod kam Ihnen jedenfalls ungemein gelegen, sonst hätte man Sie drangehabt wegen der Blütenschmeißerei. Na, wir wollen die Vergangenheit ruhen lassen, denn, unter uns gesagt – und das ist vielleicht nicht ganz vorschriftsgemäß –, man hat keine eindeutigen Beweise gegen Sie gefunden, und Chicago steht Ihnen morgen schon wieder offen.«
»Ich fühle mich sehr wohl, wo ich bin.«
»Also ich geb Ihnen den Tip, und Sie mürrischer Hund bedanken sich nicht mal dafür.«
»Na schön, Sie meinen es vermutlich gut; danke schön also«, sagte McMurdo eher ungnädig.
»Solange ich sehe, daß Sie ein ehrliches Leben führen, verhalte ich mich ruhig«, sagte der Captain. »Aber, heiliger Strohsack, wenn Sie noch mal ein krummes Ding drehen, dann sieht die Sache anders aus! Also, gute Nacht denn – und gute Nacht, Councillor.«
Als er die Bar verließ, hatte er dem Ort einen Helden geschaffen. Zwar war über McMurdos Taten im fernen Chicago zuvor schon gemunkelt worden, und er hatte alle Fragen mit einem Lächeln abgetan – wie jemand, der nicht wünscht, daß man ihm zuviel der Ehre tut, aber nun war die Sache offiziell bestätigt. Das Barvolk umlagerte ihn und schüttelte ihm herzlich die Hand. Von jetzt an war er in die Gemeinschaft aufgenommen. Er konnte tüchtig trinken, ohne daß man ihm etwas anmerkte; aber wäre an jenem Abend nicht sein Kamerad Scanlan zur Stelle gewesen, um ihn nach Hause zu geleiten, hätte der gefeierte Held die Nacht bestimmt unter der Theke verbracht.
An einem Samstagabend wurde McMurdo in die Loge aufgenommen. Er hatte angenommen, ohne Zeremonie hineinzugelangen, da er bereits in Chicago eingeweiht worden war; aber in Vermissa gab es besondere Rituale, auf die man stolz war und denen sich jeder Bewerber unterziehen mußte. Die Versammlung fand in einem großen, für solche Zwecke reservierten Raum im Union House statt. Vermissa zählte etwa sechzig zur Versammlung zugelassene Mitglieder, aber diese Zahl repräsentierte keineswegs die gesamte Stärke des Bundes, denn es gab noch mehrere andere Logen
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