Das Tal der Wiesel
Treibriemen. Nach Beendigung der Wartungsarbeiten wischte er den Fußboden, machte das Licht aus und ging wieder hinaus. Es kam ihm so vor, als ob er gerade eine Zeitmaschine verlassen hätte. Das Tal konfrontierte ihn mit fremdartigen Bildern und wilden Geräuschen. Während er die Tür abschloß, betrachtete der junge Mann die Landschaft mit gemischten Gefühlen. Sie besaß eine unbekümmerte, andersartige Schönheit, deren Logik sich ihm entzog und deren Aufbau, im Gegensatz zum Motor, nur sehr wenig vom Menschen beeinflußt worden war. Die Maschine war abschätzbar. Sie besaß die Kraft von siebzig Pferden und war gehorsam. Das Tal zeigte sich dagegen launenhaft, ebenso verwirrend wie dieses Mädchen.
Er stieg die Uferböschung hinab und überprüfte die Auslaßöffnung. Die Pumpe war an diesem Morgen gelaufen. Die Schaumgebilde auf dem ruhigen Wasser am Flußufer deuteten auf die Heftigkeit des Pumpvorgangs hin. Er zündete sich eine Pfeife an, betrachtete die gleichmäßige Strömung und grübelte über seine Verzauberung, die das Mädchen bewirkt hatte, nach. Oder lag es an diesem Ort, an seiner schwelenden Wildheit? Warum gerade das Bauernmädchen? Die Stadt wimmelte von hübschen Frauen mit freundlichen Augen, doch der schnippische Putzengel des alten Wilderers ließ ihn nicht zur Ruhe kommen! Er rauchte gedankenverloren; schließlich ging er zum Lieferwagen zurück und stieg ein.
Im gleichen Augenblick raste ein samtenes Etwas aus dem Schilf und überquerte den Feldweg vor ihm. Grinsend legte er den Gang ein, fuhr an der Spitzmaus vorbei und erreichte unter Protest der Stoßdämpfer das Tor zur Marsch. Eine Rebhuhnfamilie erhob sich in die Luft, sowohl junge als auch ausgewachsene Vögel. Die Jungen hatten gute Fortschritte gemacht. Er beobachtete, wie sie ihre Flügel bis zur Hecke kraftvoll bewegten, dann innehielten und im Tiefflug dahinglitten. Am Ende der Steigung beschleunigte der Fahrer, nahm die Kurve vor der Scheune und bremste plötzlich. Das Mädchen war unvermutet aufgetaucht, und er kurbelte, Unruhe vortäuschend, das Fenster herunter.
Ihre Bestürzung war jedoch echt. »Die Hühner!« jammerte sie. »Ich wollte den Stall aufmachen, und die Nerze sind dagewesen. Es ist ein Schlachthaus. Kein einziges Huhn ist mehr am Leben. Es ist schrecklich.«
»Hast du dem Alten Bescheid gesagt?«
»Er ist verschwunden!« Ihre Stimme klang verzweifelt. »Ich war mit dem Hund draußen, ging wieder hinein und – ich hab’ laut nach ihm gerufen, bis ich heiser geworden bin. Er ist nirgendwo zu finden. Wilderer ist verschwunden.«
»Das ist doch nicht möglich.« Er blickte flüchtig auf das Häuschen und sah sie zweifelnd an. »Ich dachte, er konnte sich kaum bewegen. Wo hast du nach ihm gesucht?«
»Überall!« rief sie schrill. »Er ist weg, das kannst du mir glauben.«
»Du hast doch gesagt, daß er …«
»Völlig egal, was ich gesagt habe«, schrie sie durch das Fenster hindurch. »Wir müssen ihn suchen.«
Der junge Mann verzog sein Gesicht. Er verkniff sich einen Kommentar und stellte den Motor ab. Beim letztenmal hatte sie auf ihre Unabhängigkeit gepocht und war energisch davongegangen, dachte er. Nun hieß es plötzlich ohne ein Zeichen der Reue ›wir‹, aber ihre Beunruhigung wirkte zwingend, und er stieg mit einer Zufriedenheit aus, die er jedoch nicht zeigte. »Wir sehen besser mal nach«, sagte er.
»Er ist nicht da.« Sie folgte ihm den Feldweg entlang. »Oh, mein Gott«, murmelte sie außer sich, »er ist immer hiergewesen, solange ich denken kann, zusammen mit seinen Hühnern und Frettchen. Das kann er uns nicht antun. Er gehört zum Tal – und zu uns.«
»Und du hast in jedem Zimmer nachgesehen?«
»Überall«, antwortete sie ungeduldig. »Wilderer ist nicht da. Ich hab’ doch Augen im Kopf.«
»Ja.« Sie waren weit aufgerissen und blickten beunruhigt, die Augen einer Zauberin. »Ich weiß«, meinte er zu ihr und ging trotzdem ins Häuschen hinein. »Du hast nachgesehen, und nun werde ich nachsehen. Dann sind wir sicher.«
Er stand im Wohnzimmer. Der tiefe Raum war düster, geprägt von alten Holzbalken und dunklen Höhlen. Er war an die Ausstrahlung, die von dem ehrwürdigen Holz und den bejahrten Möbelstücken ausging, nicht gewöhnt. Es roch nach alten Zeiten. Kleinere Gegenstände, durchdrungen von persönlichen Erlebnissen, starrten ihn finster an: ein angeschlagener Krug, die polierten Medaillen, eine verblichene Fotografie in einem Ebenholzrahmen. Er spürte die
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