Das Tal der Wiesel
bist es doch nicht, Ford, oder?«
Ford lachte und rempelte ihn an. »Wer denn sonst? Was hast du mir am Fluß zugerufen? Ich hab’ das Wesentliche nicht mitbekommen.«
»Daß du wahnsinnig gewesen bist.« Ford lebt; gesegnet seien die Opfer am Galgen! »Daß du völlig und unglaublich wahnsinnig gewesen bist, Ford!«
»Dann hast du recht gehabt, mein Freund, denn ich hätte mich auf sie gestürzt, hätte allein gegen sie gekämpft, wenn mich die Flut nicht wie einen ertrunkenen Käfer mitgerissen hätte.« Ford fuchtelte mit seinen Pfoten in der Luft herum, teilte Scheinhiebe aus. »Ich bin wahnsinnig gewesen, das stimmt«, gab das Sumpfwiesel zu, »aber unversenkbar.«
»Unverwüstlich«, stellte Kine fest. »Ich hätte es wissen sollen.« Ein Windstoß erfaßte den Sprühregen und ließ die Esche seinen feuchtkalten Atem spüren. »Es ist schlimm, Ford«, sagte Kine, wiederum nachdenklich geworden. »Vom Wieselvolk ist nicht mehr viel übrig. Zu viele sind umgekommen, zu viele geopfert worden. Unsere gemeinsame Kraft ist dahingeschwunden. Das Tal haben wir verloren.«
»Keinesfalls.«
»Frag Einauge.«
Das alte Wiesel schüttelte seinen Kopf. Seine Antwort erübrigte sich durch eine heftige Bewegung in der Hecke, und jemand schrie: »Es ist Young Heath. Das Heidewiesel ist da. Laßt ihn durch, er ist erschöpft.« Kine raste auf ihn zu. »Bleib ruhig liegen und erhol dich. Du bist in Sicherheit. Ruh dich erst einmal aus. Es ist alles in Ordnung.«
»Die Wellen, Kine …«
»Mach dir keine Sorgen.«
»Ich konnte den Bunker nicht erreichen. Ich habe es versucht, doch ich bin fortgetrieben worden. Sind wir erfolgreich gewesen, Kine?«
»Mach dir keine Sorgen, du befindest dich in Sicherheit. Die Pumpe hat uns alle besiegt. Du hast dich wacker geschlagen.« Er beobachtete, wie sich der Kleine allmählich wieder erholte. Es hatte aufgehört zu regnen. In der Ferne zeigte sich ein Vorhang aus Sonnenlicht, verschwand wieder und senkte sich erneut durch die tieftreibenden Wolken hindurch auf das Ackerland. Er hörte das Knattern des Treckers, der mit seinem Pflug die Erde aufriß. Die kleine Gruppe der Überlebenden wich etwas zurück. Einauge blickte zum Wald. Er zögerte, doch das alte Wiesel mußte etwas sagen, denn schon im nächsten Augenblick konnte sie auftauchen, unvermutet in die Gruppe hineinstolpern, und Kine war nicht darauf vorbereitet. Einauge sah ihn an.
Eigentlich sollte es nicht schwierig sein. Und doch war es dem Alten leichter gefallen, etwas zu dem mißlungenen Unternehmen zu sagen, als nun diese noch nicht offenbarte Nachricht zu verkünden. Einauge raffte sich auf.
Kine sagte gerade: »Du bist tapfer gewesen, Young Heath. Du hättest eigentlich nicht mit uns mitkommen dürfen; das ist mein Fehler gewesen. Ich nehme die Schuld auf mich. Aber du bist wirklich tapfer gewesen.« Seine Stimme stockte. »Gelobt seien die Helden am Galgen, daß du noch am Leben bist. Und mögen andere noch folgen. Es ist nicht unmöglich.«
»Es ist möglich«, zwang sich Einauge zu sagen. »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Unterdessen muß ich euch von etwas erzählen, was die Hoffnung übersteigt – von einem Mirakel. Ich muß euch von einem lange verloren geglaubten Kind des Wieselvolkes erzählen, das nun wie ein Stern in der Dunkelheit zurückgekehrt ist, um uns zu erfreuen. Ein Zeichen des Himmels, Kine. Ich mußte dich darauf vorbereiten, denn sie kann jeden Moment kommen. Ich erwarte sie.«
»Sie?« fragte Kine verdutzt.
»Sie?« fragten die anderen neugierig.
Und Wunder lief aus dem Wald heraus.
Lediglich Einauge erwartend, kam sie unbefangen näher; flink und übermütig wie ein Kobold, die kleine Schnauze erhoben, so daß ihr schneeweißer Bauch aufleuchtete und ihr gewölbter Rücken glänzte, tänzelte sie ausgelassen vorwärts. Ab und zu hinter den Wildpflanzen verschwindend, kam sie ohne Eile heran, blieb manchmal stehen, um etwas zu untersuchen, was ihr Interesse erregte. Mit einem schnellen Zwischenspurt zeigte sie ihren Elan, verkroch sich dann kurz im Schatten und tänzelte wieder hervor. Sie kletterte auf einen Baumstumpf und verschwand in dem Efeu, von dem er bedeckt war. Im nächsten Moment tauchte sie wieder auf, sprang leichtfüßig auf den Boden, erstarrte in ihrer Anmut, kam zu dem Schluß, daß alles in Ordnung war, und setzte ihren Weg fort.
Neben der Esche standen die erschöpften Überlebenden des Wieselvolkes und beobachteten sie fasziniert. Für den Kleinen war sie
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