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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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Körper der Fliegen, die sie aussaugten, besaßen einen sonderbaren, pfauengleichen Schimmer. Ein Blatt, scharlachrot wie die Backen eines Säufers, loderte gefährlich auf. Kine lief mit schleppenden Schritten voran. Seine Gangart deutete auf keine Gefahr hin, und die Kaninchen betrachteten ihn mißfällig. Der nachschleifende Schwanz des Wiesels signalisierte seinen jammervollen Zustand. Sie drückten ihre Geringschätzung aus, indem sie gemächlich weiter an den Wildkräutern herumknabberten.
    Oben auf dem Hügel, im Nieselregen, wendete ein Trecker. Kine bemerkte den üblen Geschmack des Dieselkraftstoffs auf seiner Zunge kaum. Der Pflug vor ihm zog glitzernde Furchen in die braune Erde. Er schlurfte am Acker entlang, wurde an den bevorstehenden Winter erinnert und an die Schreckensherrschaft, die den Frost noch verschlimmern würde. Gru konnte durch nichts mehr aufgehalten werden. Sie war allmächtig. Möwen folgten dem Trecker. Ein Saatkrähenpaar, dunkle Piraten, liefen auf den aufgeworfenen Erdreihen entlang. Endlich, neben der verkrüppelten Esche in der Nähe des Waldes, konnte Einauge dem Wanderer eine Begrüßung entgegenknurren.
    »Du bist unversehrt«, seufzte das alte Tier erleichtert. »Es war ein langes Warten.«
    Kine nickte. Unversehrt und allein. Unter der Esche, mit der eine unvergeßliche Erinnerung verbunden war. Er betrachtete sie. Es war schwer, sich diese Stelle als einen Platz der Ekstase vorzustellen, der einst von dem Trompeten der Wildgänse erfüllt gewesen war. Nun sah der Baum traurig aus, seine Rinde weinte, als der Regen von den Zweigen auf die Äste lief. Wasser hatte sich in einem Fach, das von Pilzen gebildet wurde, gesammelt und schwappte nun stetig tropfend über. Der verkrüppelte, graue Baum bot einen trübseligen Anblick. Kine schluckte seine starke Gefühlsregung hinunter. »Es war ein langer Weg.«
    »Ein Epos ist es gewesen.« Das einzige Auge sah ihn feierlich an. »Jetzt kannst du dich endlich ausruhen.«
    »Später.« Kine schüttelte sein nasses Fell. Später würde er schlafen, denn nur der Schlaf konnte Vergessen bringen, aber erst mußte die Wahrheit eingestanden, mußten die neuen Nachrichten weitergegeben werden, und dann konnte er sich mit ihnen in Schimpf und Schande in irgendeine Nische verkriechen. Einauge schien gealtert zu sein, war hellhaariger, als er ihn in Erinnerung hatte, und Kine fragte sich, ob er überhaupt noch einen Winter überstehen würde. Der Alte erlebte gerade den letzten großen Kampf. Die Erkenntnis kam Kine mit bitterer Klarheit, und die Nachricht von der Katastrophe blieb ihm in seiner Kehle stecken.
    »Du brauchst mir nichts zu erzählen«, hörte er Einauges ruhige, knurrende Stimme. »Ich weiß, was geschehen ist, und ich bin stolz. Ihr hättet sie bezwungen. Alles, was ihr gebraucht hättet, wäre etwas Glück gewesen. Es war ein mutiges Unternehmen.«
    »Ein Fiasko. Ich habe dich enttäuscht, Einauge – habe alle enttäuscht.«
    »Im Gegenteil«, schnarrte Einauge. »Du hast sie hervorragend geführt.«
    »Zweifellos habe ich sie geführt.« Er wandte sich ab, legte die Ohren an. »O ja, ich habe sie geführt. Über den Fluß. Zum Burghügel. Und dann« – seine Stimme glich einem Zischen – »habe ich sie zum Fluß zurückgeführt und sie ertrinken lassen, Einauge. Ich habe das Wieselvolk ertränkt. Ich habe es zum Fluß zurückgeführt und – das ist mein Mut gewesen, meine Schuld, die ich dir nun mitteile. Das ist meine Neuigkeit von dem Unternehmen und meine verdammte Schuld.« Es kam keine Erwiderung. Der Baum tropfte. Das Tropfen war stetig und monoton, beharrlich wie die Frage, die zu bohren begann. Langsam wandte er sich Einauge zu. »Wußtest du das?« fragte er.
    »Niemand hätte das Wieselvolk besser führen können.«
    »Das Wieselvolk ist umgekommen!«
    »Einige sind umgekommen«, knurrte Einauge. »Einige sind vor dir zurückgekehrt. Und einige werden vielleicht noch zurückkehren.«
    »Überlebende?«
    »Sie sind nach und nach wieder aufgetaucht.«
    Kine spürte, wie das Blut in seinen Kopf schoß, und gleichzeitig überkam ihn ein Gefühl der Erleichterung. Er richtete sich langsam auf seine Hinterbeine auf, reckte den langen Wieselhals, witterte angespannt und versuchte, mit seinen Augen den nassen Schleier zu durchdringen. Dort im Nieselregen zeigten sich Gestalten, die Gefährten hätten sein können oder aber lediglich wuchernde Pflanzengebilde. »Ford?« Etwas kam auf ihn zu. Er konnte es kaum glauben. »Du

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