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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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Vergangenheit – die Schatten der schon lange Verstorbenen – und zögerte. Das nervöse Mädchen hinter ihm verbreitete Unruhe. Langsam, fast auf Zehenspitzen, ging der junge Mann weiter.
    Das Zimmer verschluckte ihn. Es war genauso geheimnisumwittert wie die Marsch, erfüllt von Wilderers Geist. Doch es war niemand zu sehen. Die Spülküche war leer, ebenso der Hinterhof. Das Mädchen jammerte ohne Unterlaß. »Hab’ ich es dir nicht gesagt? Ich hab’s dir doch gesagt.«
    »Ich geh’ nach oben.«
    »Das ist unnötige Zeitverschwendung.« Doch sie folgte ihm katzengleich die Stufen hinauf und hockte sich im Dachgeschoß an die Wand, während er sich umsah. Er mußte sich etwas bücken. In dem engen Raum befanden sich ein Stuhl, ein kleiner Teppich auf den Fußbodenbrettern und das zerwühlte Bett. »Und?« fragte das Mädchen.
    »Vielleicht haben sie ihn abgeholt«, überlegte er. »Möglicherweise hat der Arzt darauf bestanden.«
    »Es ist kein Krankenwagen hiergewesen.«
    »Vielleicht hast du ihn nicht gesehen.«
    »Er hätte sich geweigert mitzugehen.«
    »Ich weiß nicht – wenn er sich zu schlecht gefühlt hat.« Dickköpfige Menschen und sterbende Tiere gaben kurz vor dem Ende den Widerstand auf. Der junge Mann kam mit seinem Kopf leicht gegen die Decke. Er konnte die Geister spüren, hörte in dem Dach des Häuschens ihre Seufzer und Verwünschungen. Viele Generationen mußten unter diesen Dachbalken ihr Leben verbracht haben, waren hier zur Welt gekommen und gestorben. Er stellte sich robuste Bauersfrauen, wettergegerbte Waldarbeiter und unzählige Kinder vor. Jahrhundertelang hatten diese Leute das Tal mit den wilden Tieren geteilt, hatten nach den gleichen Gesetzen gelebt, waren nach den gleichen Gesetzen gestorben. Er glaubte fast, sie zu hören, ihr Stöhnen und Ächzen und ihr heiseres Knurren. Dann, als er bemerkte, daß das Mädchen ihn beobachtete, sagte er: »Sie haben ihn vielleicht einfach mitgenommen, um ihm zu helfen.«
    »Sie hätten dafür eine ganze Armee gebraucht.« Sie dachte einen Augenblick nach, dann stürmte sie plötzlich zum Bett, wobei ihre Haare nach vorne geworfen wurden. »Das Gewehr«, stieß sie hervor. »Es ist nicht mehr da. Das hatte ich noch nicht bemerkt. Er hat das Gewehr mitgenommen.«
    »Horch mal …«
    »Der Hund – das Gebell kommt aus dem Wald.«
    »Komm mit, das hat etwas zu bedeuten!«
    »Guter Gott, dieser Narr«, murmelte das Mädchen, »dieser verdammte Idiot!«
    Der Körper lag auf einem Treibguthäufchen, das der Fluß ans Ufer geschwemmt hatte. Zunächst wirkte er ebenso leblos wie die ausgerissenen Riedgräser und die durchnäßten Zweige, die seine Bahre bildeten. Doch dann zuckte ein Bein, der Mund schnappte kraftlos nach Luft. Sekunden später bewegte sich das Wesen ruckweise, nahm eine schlappe, aber lebensähnliche Haltung ein und schüttelte den nassen Kopf.
    Kine schauderte. Erst allmählich bekam er seine Sehkraft wieder. Er erkannte die kleine Bucht und die weite Wasserfläche des Flusses. Auf dem Treibgut liegend, strengte er sein Gedächtnis an. Er erinnerte sich an den Strudel, der ihn langsam hinuntergezogen hatte an den schwarzen Schlund. Die Hoffnungen waren dahingeschwunden, als er von der Mitte des Kessels unerbittlich angesaugt worden war. Er hatte sein Bewußtsein verloren. Seine nächste Erinnerung war nur sehr undeutlich. Es war dunkel gewesen. Er hatte sich noch immer unter Wasser befunden, doch der Sog war plötzlich nicht mehr so stark gewesen, und mit berstender Lunge hatte er wiederum angefangen zu kämpfen. Er war langsam aufgestiegen und an die Oberfläche gekommen. Er konnte sich an nichts weiter erinnern, nur noch an die Stille. Die Pumpe hatte sich abgeschaltet, und er war wohl ans Flußufer geschwemmt worden.
    Schwächlich kroch er aus dem Schilf heraus. Das Ufer war mit glitschigem Schaum bedeckt, und von den Blättern tröpfelte es auf ihn herab. Die Sonne war verschwunden, der vielversprechende Morgen wurde von trägen Wolken verdunkelt. Kine blickte sich nach den anderen Wieseln um. Als er keins entdeckte, machte er sich, trübsinnig knurrend, auf den Weg, um den heimatlichen Wald zu erreichen. Ein feiner Sprühregen verwischte die Marschlandschaft, während er sich mühsam fortbewegte.
    Ein Kiebitz schrie. Der Schrei drängte andere zur Flucht, und einige Zeit lang kreiste der Schwarm in der Luft, bis er sich auf dem ansteigenden Weg wieder niederließ. In der Dornenhecke glänzten überreife Brombeeren. Die

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