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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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die Eule selbst, verfehlten sie um Haaresbreite, packten Kine, und sie schrie »Kine!«
    Er hatte sich gerade umdrehen wollen, als die Krallen in sein Fell schlugen. Kia sah, wie Staub aufwirbelte und die Eule sich bemühte, mit ihrem baumelnden Opfer an Höhe zu gewinnen. Kine kam es so vor, als ob der Himmel über ihm zusammengebrochen war, als ob jemand seinen Rücken aufgerissen, das Fleisch von seinen Rippen gezogen hatte. Der Griff, der ihn festhielt, besaß die Kraft eines Fangeisens. Benommen dachte er daran, wie er auf die große Ratte gesprungen war, doch der Boden befand sich nun weit unter ihm, noch nie hatte er einen derartigen Schmerz gespürt. Er lähmte, schien ihn in die Bewußtlosigkeit zu treiben. Doch er wußte, daß er sich jetzt unter keinen Umständen herauswinden durfte.
    Die Eule flog geräuschlos dahin. Sie hatte es gewagt, ein Wiesel anzugreifen, und war erfolgreich gewesen. Nun befand sie sich auf dem Weg zu ihrem Nistplatz unter dem Scheunendach. Rhythmisch bewegte der große Körper über dem Wiesel seine Flügel, die den Himmel abwechselnd verdeckten oder enthüllten, auf und ab. Der Boden kippte zur Seite. Baumstämme eilten verschwommen vorüber und warfen Schatten auf Kine. Er brachte seine ganzen Willenskräfte auf, um seine Klarheit wiederzuerlangen. Er mußte bei Bewußtsein bleiben. Keine Eule hatte jemals ein Wiesel unbeschadet angegriffen. Widerstand flammte in ihm auf.
    Der Wald zog vorbei. Kine sah die grüngefärbte Wetterseite der Bäume; dann die grauen Rinden auf der windgeschützten Seite. Trecker, Galgen und Holzstoß tauchten unter ihm auf und verschwanden wieder aus seinem Blickfeld. Auf der Wiese folgte atemlos ein roter Strich, ein schmaler Körper: Es war Kia. Kine blickte auf den unscharfen, schrägstehenden Schornstein von Wilderers Häuschen und auf die Windungen des Feldweges, der sich auf der Anhöhe zwischen den gepflügten Feldern hindurchschlängelte. Flechtenbewachsene Dachziegel wurden sichtbar. Mit überraschender Klarheit sah Kine das gebündelte Stroh an der Stelle, wo der Putz abgebröckelt war. und die aufgesperrten Flügel des Scheunentores, dann sauste er in den Schlupfwinkel der Schleiereule hinein.
    In der Scheune war es düster. Von den Strohballen, die unter den mächtigen Dachbalken lagen, ging ein starker Geruch aus. Eine Gruppe kleiner Vögel floh aus der Tenne. Es war eine muffige Kathedrale, die von Finsternis erfüllt war und von Kine sofortiges Handeln verlangte, wenn ihr erhabenes Gebälk nicht zu seiner Schlachtbank werden sollte. Er rief Sonne und Mond an, bat um die Kraft seiner Mutter und der Opfer am Galgen. Aus seinem tiefsten Inneren schöpfte er den Widerstandswillen der Wiesel. Sich heftig drehend, krallte er seine Vorderpfoten in das Bein der Eule und drückte so stark dagegen, daß er glaubte, sich selbst in Stücke zu reißen.
    Trotz der Schmerzen, die von den immer noch festhaltenden Krallen herrührten, streckte er seinen Nacken. Er streckte ihn, bis jede Faser protestierte; dann setzte er, so hoch wie er kommen konnte, seine Kiefer an und biß grimmig in den gefiederten Körper. Die Wirkung zeigte sich sofort. Für einen Moment lockerte sich der Griff, und er riß sich los. Im nächsten Augenblick befand er sich halb betäubt im Stroh, und irgendwo in der Düsternis über ihm schlugen Flügel.
    Instinktiv zeigte Kine seine Zähne. Die Eule legte sich in die Schräglage, steuerte auf die Strohballen zu; das Wiesel konnte sich wegen seiner Verletzung und einem einsetzenden Krampf nicht bewegen. Seine Augen zeigten einen düsteren Glanz. Einen Meter von ihm entfernt landete der Raubvogel und bereitete sich auf den Angriff vor.
    So standen die Dinge, als Kia erschien. Fauchend und zornig brach sie mit wutentbrannter Stimme aus dem Stroh hervor. »Tchk – kkk! Eine Berührung und du bist tot!« Und die Eule, nicht daran zweifelnd, schwang sich vorsichtig in ihr sicheres Gewölbe unter dem Dach. Mit glühenden Augen starrte sie Kia an, die das kraftlose Wiesel wie ein Junges am Genick schnappte und mit ihm davonlief. Die Kraft, die in ihrem schmächtigen Körper steckte, war beeindruckend. Man hatte Wiesel schon dabei beobachtet, wie sie ausgewachsene Kaninchen über die Straße schleppten. Kia sprang mit ihrer Last davon. Erst als sie sich im Schutze des Holzstoßes befand, hielt sie an.
    Es war wieder ruhig geworden. Kleine Augen lugten neugierig hervor, Nasen schnupperten. Unter den Waldlandbewohnern herrschte ein

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