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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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zweifelhaften Sicherheit entgegenschwammen; doch er war niemals zuvor jemandem begegnet, der zurückgekehrt war. Bis jetzt. »Und was für eine Art Wiesel lebt in einem solchen Sumpf?«
    »Er ist jung – jünger als du – und genauso selbstbewußt.« Kia zwinkerte mit den Augen. »Die Sache ist die«, sagte sie ernsthafter, »daß er dasselbe geglaubt hat wie wir. Er ist nie auf die Idee gekommen, daß es auf der anderen Uferseite Wiesel geben könnte. Ebenso wie du hat er den Fluß als Grenze zu einem verbotenen Land betrachtet.«
    »Was er, bei Sonne und Mond, auch vorfinden wird, wenn er es wagt herüberzukommen.«
    »Genau das hat er, auf dich bezogen, auch gesagt, Kine. Wie typisch! Hast du nicht schon genug Feinde? Überleg doch einmal, welche Möglichkeit sich hier bietet. Ihr haltet beide an albernen Grenzen fest, obwohl ihr euch zusammentun und doppelt so stark sein könntet. Er ist flink und äußerst kräftig, ein lebhaftes Tier. In gefährlichen Zeiten könntet ihr ein vielversprechendes Bündnis eingehen.«
    »Tchk!« Kine drehte sich zur Seite und blickte ärgerlich umher. »Wenn er so beeindruckend ist, warum bist du dann nicht bei ihm geblieben?«
    »Vielleicht, weil er zu sehr darauf bestanden hat«, konterte Kia.
    Er ging zurück, und sie folgte ihm verstimmt. Am Waldrand starrte der Wachtposten der Krähenkolonie mürrisch nach unten. Der Wächter, wie Wilderer ihn nannte, beachtete ihre roten Rücken nicht weiter. Ein Fuchs oder eine Eule hätten vielleicht die vereinte Flucht der Kolonie herbeigeführt, wodurch auch die anderen Tiere alarmiert worden wären, doch jetzt blinzelte der Wächter nur und krümmte seinen Rücken.
    Seine Augen blickten sarkastisch, sein Gesicht war grau und federlos. Der Schnabel wies eine scharfe Krümmung auf. In den Eichenkronen hielten die anderen Saatkrähen eine lautstarke Versammlung ab. Der Wächter beobachtete sie geringschätzig. Das Alter hatte seine Neigung für heftige, endlose Debatten vermindert, da sie, seiner Schlußfolgerung nach, nur wenig mehr ergaben als die Geschwätzigkeit, die für seine Gattung charakteristisch war. Die Jahreszeiten nahmen schon ihren Lauf. Ob nun Debatten geführt wurden oder nicht, es würde Paarungen, Geburten, Sterbefälle und Seitensprünge geben, Skandale würden längere Erörterungen nach sich ziehen, lautstarke Kontroversen – und wie gewöhnlich, so nahm der Wächter an, würde seine leidenschaftliche Gattin wiederum fremdgehen. Ein lüsterner Junggeselle umwarb sie bereits.
    Am Ende lief alles aufs gleiche hinaus. Er beobachtete seine Gemahlin, wie sie sich auf einem fernen Ast präsentierte und flirtete. Der alte Wächter war unzählige Male betrogen worden, und doch baute sie ihm immer noch das beste Nest der ganzen Kolonie, was sie, solange sie lebten, auch weiterhin tun würde. Es war ein prächtiges Nest, voller Zweige und Erde, ein solider Klumpen aus dem Tal, der sich in der Krone eines Baumes befand. In keinem anderen Nest entfaltete sich ein derart lebendiger Garten. Im Sommer würde es durchsetzt sein mit Graswurzeln, keimenden Kartoffeln, Schnecken, Dutzenden von Regenwürmern, Bohrasseln und Hundertfüßern. So ein Zuhause hatte eine versöhnliche Wirkung auf viele andere Dinge im Leben des Wächters.
    Er versteifte sich und stieß plötzlich laute Warnschreie aus. Was er sah, war kein Wiesel, sondern ein alter Feind der Krähen; und die Gemeinschaft wurde aufgerüttelt. Ihre Mitglieder erhoben sich, eines nach dem anderen, flatternd in die Luft und flüchteten mit starken, gleichmäßigen Flügelschlägen galeerengleich südwärts. Kia sah hinauf und erblickte den schwarzen, weit auseinandergezogenen Krähenschwarm am Himmel.
    »Kine, da, die Krähen sind aufgeflogen!« Sie konnte Kine vor sich sehen, wie er, am Boden schnuppernd, nichts davon bemerkte. »Sei vorsichtig, die Krähen sind gewarnt worden, Kine!«
    Die Spitzmaus versteckte sich. Scrat zitterte, und die Eule glitt in düsterer Erhabenheit am Waldrand entlang. Sie flog tief; da sich der Frühling näherte, jagte sie immer öfter bei Tageslicht. Sie streifte lautlos umher und bewegte ihre Flügel langsam, mit einer trägen Überheblichkeit; ihr Blick war durch den Appetit am Ende des Winters geschärft. Kia sah die großen Augen in dem maskierten Gesicht, den breiten weißen Brustharnisch und die schwarzen Krallen, die sie auseinanderspreizte, als sie herabstieß. Die Krallen, die von Kias Perspektive aus genausogroß zu sein schienen wie

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