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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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Fasanenmännchen mit einer Schleuder erlegt. Seine Beschlagenheit war nicht so feinsinnig wie die eines Wiesels, doch oftmals bekam er Informationen, wo die meisten nicht einmal etwas sahen oder hörten. Er entdeckte das winzige Haarbüschel neben dem Weg und wußte, daß das Kaninchen in der Nähe ihre Jungen zur Welt brachte. Das Männchen hatte Haare aus ihrem Fell gezupft, um dort die Grenze zu markieren. Und hochblickend konnte er das Nest des Turmfalken von denen der Ringeltaube oder des Eichhörnchens unterscheiden.
    Er war mit den Lauten des Buchfinken und der Goldammer ebenso vertraut wie mit der weichen Doppelnote des Zilpzalps, die man ab März hören konnte. Es gab kaum etwas, was Wilderers Augen oder Ohren entging, weder das erste Aufleuchten des Eisvogels am Fluß, noch die Ankunft der Weidenlaubsänger oder das Debüt des Zitronenfalters auf der Wiese. Aber diese Bilder und Laute vermochten ihn jetzt nicht zu besänftigen. Seine Gelenke schmerzten zu sehr, als daß er sein Gewehr benutzen konnte, und ohne Waffe fühlte sich Wilderer seiner Kraft beraubt. Er beobachtete, wie ein Hase auf ihn zulief, kurz schnupperte und ohne besondere Eile davonhoppelte. Ein Beweis für seine Schwäche.
    Er konnte seinen Finger am Abzug spüren, den glänzenden Lauf sehen und die leichte Einbuchtung des Schaftes fühlen, wo seine Hände das alte Holz im Laufe der Zeit abgenutzt hatten. Doch alles, was er in seiner Faust hielt, war ein Stock. Und selbst dieser war in der vergangenen Woche eine Belastung für seine Finger gewesen. »Dir geht es schlechter«, hatte das Mädchen zu ihm gesagt. »Mach mir nichts vor.« Eine Ringeltaube ergriff flügelschlagend die Flucht und flog mit überheblicher Lässigkeit über seinen Kopf hinweg. Sein Auge folgte ihr, gab ihr etwas Zeit, berechnete den Schuß – und beobachtete sie hilflos. Etwas Böses war im Gange. Die Hasen zeigten sich furchtlos. Tauben verspotteten ihn. Irgend etwas passierte mit diesem alten Jäger.
    Eine Kreuzotter regte sich. Von den Schritten in ihrem Schlupfwinkel, der sich in einem Birkenstamm befand, aufgeschreckt, glitt die Schlange lautlos durch den Efeu und verschwand. Wilderer schlug mit seinem Stock auf die Pflanzen. Die dunklen Blätter umklammerten totes Holz, die Beeren waren tiefschwarz, eine düstere Note inmitten des wiedererwachenden Lebens – und sein finsterer Blick verdunkelte sich noch mehr. Ein plötzliches Trommeln, das ihn an das Geschützfeuer in einem französischen Wäldchen erinnerte, wurde von einem wilden Lachen gefolgt, als der Specht davonflog.
    Einen entwurzelten Baum umgehend, erreichte Wilderer das Ufer des kleinen Waldsees und blieb stehen, seine Augen verengten sich.
    Dort, wo die Kröte unterhalb des Ufers schlief, erblickte er ein davoneilendes Wiesel, dann war es verschwunden, und nur noch die Baumwurzeln verzierten das kleine Steilufer. »Ahh!« sagte er laut. »Ich habe dich gesehen, du roter Räuber. Ich werde dich bald kriegen …«
    Er war schon lange nicht mehr bis zu diesem Ort vorgedrungen, und einen Moment zögerte er verunsichert. Ein Reiher erhob sich in die Luft. Wilderer suchte die Weiden nach dem Lebensbaum ab. Der leblos wirkende Hauptast hielt seinen Blick gefangen, und er näherte sich, von Vorahnungen erfüllt, dem dunklen Stamm. Er streckte einen Arm aus, seine Finger, kurz vor der Rinde, zögerten, dann zog er seine Hand zurück und blickte statt dessen zum kahlen Hauptast hinauf. Sein Nacken versteifte sich. Es war nichts zu entdecken. Vielleicht war es noch zu früh für irgendwelche Anzeichen, doch Wilderer suchte weiter nach Andeutungen einer Verjüngung an dem starken Ast über sich.
5. Kapitel
    Kine trug die Narben seiner Verletzung nun ungefähr eine Woche lang. Sie verunstalteten die Vollkommenheit seines Gewandes, aber obwohl ihn dieser unschöne Makel etwas störte, wurde er durch den Teil seiner Eitelkeit, der an der Symbolträchtigkeit der vernarbten Wunden Gefallen fand, mehr als entschädigt. Wie viele waren denn schon von der Eule gezeichnet worden und am Leben geblieben? Niemand in Kines Land. Die Narben waren ausdrucksvoll. Sie bedeuteten: »Hüte dich davor, das Wiesel zu belästigen!«
    Wilderer hätte ihn um seine schnelle Genesung beneidet. In Kines Welt stand aber wenig Zeit zur Verfügung, um wieder zu Kräften zu kommen; entweder erholten sich die Verletzten rasch, oder sie waren besiegt. Ihre Fähigkeit ›weiterzumachen‹, wie Wilderer es nannte, war bemerkenswert. Es gab

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