Das Tal der Wiesel
Bewohner, ihren Geruchs- und ihren Hörsinn. Die Wachsamkeit wurde behindert. Stürmisch und tobend reizten die letzten Sturmwinde des Winters die Nerven und brachten Tiere, die normalerweise ruhig und gelassen waren, dazu, sich furchtsam zu verkriechen. Die Amsel, schon bereit, Eier zu legen, hielt sich in den Gräben auf. Kaninchen hockten in der Nähe ihres Baus. Im Februar hatten sie begonnen, sich zu paaren, und sie würden den ganzen Sommer über nicht damit aufhören, ein ewiger Kreislauf, da die Weibchen sofort nach dem Werfen wieder begattet wurden.
Über dem Wald wirbelten die Saatkrähen in den stürmischen Böen wie verbrannte Papierfetzen hin und her, einige trieben in den Windschatten der Bäume, wo sie geschützt waren und nach Ameisen pickten, deren Säure sie vor Parasiten bewahrte. Kiebitze schwebten im Luftstrom dahin und tauchten schreiend in sumpfige Vertiefungen oder stille Mulden hinab.
Die Nerzin schüttelte das Wasser ab. Als ihr Begleiter ebenfalls aus dem Fluß gekommen war, bewegte sie sich auf die Pumpstation zu und betrachtete sie genau. Auf der einen Seite umgaben ansteigende Betonschultern die große Förderschnecke – die neun Meter lange Archimedische Schraube, die das Wasser aus dem Mullen-Kanal in den Fluß hievte. Am anderen Ende, in der Auslaßöffnung befestigt, befand sich eine bewegliche, eiserne Klappe, die den Rückstrom verhinderte.
Über diese Bauteile erhob sich ein schlichtes Backsteinhäuschen – mit einer Tür versehen, doch ohne Fenster –, das den Motor, der die Schraube antrieb, beherbergte. Die Pumpstation arbeitete automatisch. Wenn der Kanal anschwoll, verlangten die Elektroden nach Energie, und die Pumpe wurde in Betrieb gesetzt; wenn der Wasserspiegel gesunken war, schaltete sie wieder ab. Am Fluß gab es viele dieser Pumpstationen, und die Nerzin näherte sich vertraulich. Mit gestrecktem Nacken untersuchte sie das Fundament des Backsteinhäuschens. Die Knospen des Schafbockskrauts waren stark angeschwollen, das Gras gedieh üppig. Doch um das Gebäude herum war die Erde zusammengesackt und hatte dunkle Spalten hinterlassen.
Einen Moment lang beschnupperte die Nerzin die engen Öffnungen, dann verschwand sie in einer von ihnen. Dort drinnen war es finster. Staub setzte sich auf ihrem Fell ab. Sie befand sich in dem Unterbau, umgeben von groben Betonpfeilern und Metallträgern. Sie kannte sich in diesem Labyrinth aus. Im Innersten des bunkerartigen Bauwerks hatte sich der Wind verloren. Das Tier grunzte. Mit ihren Krallen scharrte sie eine Linie in den Lehmboden, ein Zeichen ihrer Besitzergreifung. Sie schürzte ihre Lippen. Es war eine nette Ironie, dachte sie, daß die Peiniger ihrer Vorfahren den perfekten Stützpunkt für ihren Überfall auf das umliegende Land errichtet hatten.
Das Männchen beobachtete sie, wie sie aus dem Labyrinth herauskroch. Selbst er hielt sie für eine grausame Bestie. Ihr rauhes Fell besaß für die Menschen keinen Wert. Pelzhändler suchten nach edlerer Ware. In den Lagern, wo die Gefangenen dahinsiechten, gab es Farbmutationen: Nerze, die Pastell, Perl und Platin genannt wurden. Doch nach einigen Generationen hatten die Nachfahren der entkommenen Tiere wieder ihr wildes Fell erhalten, und im Stammbaum der Nerzin war die gezüchtete topasene Farbe den schlichteren schwärzlichen Tönen und dem einfachen Braun gewichen.
Es war ein brauner Räuber gewesen, bedrohlicher als ein Gewitter, der das Weibchen gezeugt hatte, und sie war mit seiner Plünderhorde mitgezogen. Kein anderer Nerz war so gefräßig, so unersättlich. Nach dem Tod des Anführers hatte sie die Kehle seines Stellvertreters zerrissen, ihre Nachfolge verkündet und sich so an die Spitze der Räuber gestellt. Sie mordete haßerfüllt, mit einer Gier, die nichts mehr mit Hunger zu tun hatte, immer bestrebt, noch mehr Macht zu erlangen. Nun richtete sie ihren Schlupfwinkel für ein weiteres Unternehmen ein.
Die Gewalt der laufenden Pumpe faszinierte sie. Diese saugte das Wasser genauso auf, wie sie Blut saugte, stillte ihren Durst mit schlammigen Wasserströmen, die brodelten und schäumten, bis die Gräben ihren Tiefstand erreicht hatten. Die Wucht an der Auslaßöffnung war ungestüm. Die Wassermassen hämmerten stoßartig gegen die Eisenklappe, wodurch Strudel und makabre Schaumgebilde entstanden.
Eßbare Teilchen vom Land mit sich führend, wirkten die Fluten anziehend auf die Fische – Gründlinge, Barben, Brassen, Schleien –, die von den Nerzen mit
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