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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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Tiere, die ein Bein in einer Falle verloren hatten und nur wenige Stunden später, mit ihren drei verbliebenen Beinen und einem wunden Stumpf, nach Futter suchten. Der reine Wille zu überleben heilte sie.
    »Du siehst wie neugeboren aus, Kine.«
    »Bin wieder kampfbereit«, sagte er selbstsicher und blickte Kia strahlend an. Seine Abneigung gegen ihre Nähe war nun verschwunden, als sie in dem efeuüberwachsenen Schlupfwinkel, den die Schlange verlassen hatte, Schutz suchten. Der April ließ in einer seiner typischen Launen einen Hagelschauer niederprasseln, und sie hatten eilig nach einer Deckung gesucht, als die harten Körner umhersprangen. Mitten in diesem Durcheinander kündigten schneeweiße Schlehdornblüten den Frühling an, und Kia spürte eine stärker werdende Verbundenheit mit dem Wald; aber nicht so wie Kine, der durch die Vergangenheit mit ihm geradezu verwachsen war, sondern eher durch die vorausschauende Erkenntnis der Notwendigkeit, sich häuslich niederzulassen.
    Die Saatkrähe, die in dem dornigen Schlehengebüsch Zuflucht vor dem Unwetter gesucht hatte, beobachtete das Paar mit säuerlichem Blick. Für den Wächter war es das erste Zeichen der herannahenden Verrücktheit, des jahreszeitlich bedingten Übels, das die Gesunden in Narren verwandelte, die jungen Mädchen in verführerische Weibchen und seine eigenen Geschlechtsgenossen in schamlose Lüstlinge. Er erinnerte sich an seine jungen, leidenschaftlichen Tage.
    »Idiotisch«, murmelte er vor sich hin und starrte die Wiesel verächtlich an.
    Kia schnurrte. »Du siehst so gut aus wie nie zuvor, Kine.«
    »Als ich ihn das letztemal sah«, sagte der Wächter, »hatte er Ähnlichkeit mit einem toten Fisch.«
    »Aber nicht lange. Kine ist unverwüstlich.«
    »Bah!« Die Krähe zog sich vor den Hagelkörnern zurück. »Er hat Glück gehabt, würde ich eher sagen. Es gibt einige, die hören auf…«
    »Und einige«, fiel Kine ein, »die aus den Baumkronen fliehen, wenn sich die Eule nähert. Jedem, wie es ihm beliebt: Die Krähen ergreifen die Flucht, ich nehme die Narben, die vom Kampf zurückbleiben, in Kauf.«
    »Wie du siehst, muß er genauso wie du bestimmte Aufgaben erfüllen«, sagte Kia sehr diplomatisch. »Er muß unerschrocken sein und herausfordernd gegenüber Feinden. Wer hätte sonst gegen die Ratte gekämpft und sie getötet?«
    »Und wer sonst«, fragte Kine, »hätte der Eule in ihrer Behausung die Stirn geboten, wenn nicht ein Wiesel? Kia ist wagemutig und flink, ein wahres Wiesel …«
    »Weil ich von Kine gelernt habe«, fügte sie mit sanfter Stimme hinzu.
    Sie setzten ihre Übertreibungen eine Weile fort, und die Saatkrähe sträubte, von ihrer gegenseitigen Bewunderung angewidert, ihre Nackenfedern und machte sich Gedanken über die Tugend der Nüchternheit, die man sich mit zunehmendem Alter erwarb. Was bedeutete diese sogenannte Jahreszeit des Erwachens? Die Amsel faßte es für ihn zusammen, schleuderte den lebhaften Hagelkörnern kampflustige Laute entgegen. Begierde, Eifersucht, Aggression – die Freuden des Frühlings! Im Frühjahr ließ das scheue Teichhuhn die Sporen aufblitzen und ertränkte den Rivalen im stillen See. Im Frühjahr schlug und stieß der friedfertige Hase seine Brüder mit dämonischer Heftigkeit. Im Frühjahr waren Gräben, Wiesen und Dickichte mit Gewalt erfüllt, wenn winzige, vom Geschlechtstrieb besessene Tiere ihre sonstige Furchtsamkeit vergaßen und wie die Löwen kämpften.
    Vom mürrischen Blickwinkel des Wächters aus sollten sich die Wiesel vor dem Frühling und seiner fieberhaften Erregtheit lieber in acht nehmen.
    Kine fragte: »Du bist nicht wieder am Fluß gewesen, Kia? Seit ich verletzt war, hast du das Wiesel aus dem anderen Land nicht mehr getroffen?« Es war die Folge einer leichten Gefühlsregung, der eifersüchtige Argwohn, der ebenso wie der Hagelschauer im April aus heiterem Himmel hervorbrach. Den Kopf leicht hervorgestreckt, hörte der Wächter verbittert zu. Sie würden zärtlich miteinander reden und sich streiten, zweifeln und sich wieder streiten. Die frühen Stadien der rastlosen Frühlingsgefühle waren ebenso voraussagbar wie einfältig.
    »Nun bin ich hier. Würde es etwas ausmachen, wenn ich zurückgehe?« neckte Kia.
    »Ich würde es nicht gerne sehen.« Kine hatte während seiner Genesungszeit darüber nachgedacht, verfolgt von dem Gedanken an das andere Wiesel, das er einmal sogar undeutlich im Mondsee heraufbeschworen hatte, wobei sich seine Muskeln leicht zu

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