Das Tal der Wiesel
Schleiereule stieg steil auf und flog ohne Mitgefühl am düsteren Galgen vorbei: Sie war nicht betrübt über die neueste Nachricht.
Der Tod der Wiesel erschreckte die Schleiereule nicht. Die Wiesel jagten ihre Beutetiere, und ihr Bein würde dank Kines Angriff steif bleiben. Sie trauerte weder um Kia noch um ihre Nachkommen oder um die Wiesel, die an den Galgen genagelt worden waren. Sie tauchte hinunter, packte eine Wühlmaus, fand einen geeigneten Amboß und schmetterte das Leben aus dem zappelnden Tier. Dann putzte sie sich in der Dunkelheit. Ein Fenster von Wilderers Häuschen war erleuchtet. In der Ferne flackerten Scheinwerfer auf und verschwanden wieder. Die Eule stieß einen grimmigen Schrei aus.
Kia – die Gefährtin Kines – und ihre Jungen waren tot.
Das Mädchen ging nach draußen, Licht schien durch die geöffnete Tür und beleuchtete Fuchsien und einen Rasen, der so eben war wie die Fläche eines Billardtisches; an der Leine hing noch Wäsche. Während ihr Vater drinnen rauchte, legte sie die Kleidungsstücke in einen Eimer, die Wäscheklammern obenauf. Hinter der kurzgeschnittenen Hecke konnte sie undeutlich die Straße und das verdunkelte Tal erkennen. Nach Sonnenuntergang hielt sie sich lieber im gepflegten Garten als auf den dahinterliegenden Feldern auf.
In einer Sommernacht, wenn die Eule schrie und der Fuchs heulte, brauchte man nicht viel Phantasie, um sich merkwürdige Begebenheiten auf den bewaldeten Hügeln vorzustellen. Die Vorfahren des Mädchens, mit ihren flackernden Laternen, um den Schatten Einhalt zu gebieten, waren der Überzeugung gewesen, daß in der Finsternis grausige Gefahren lauerten: schwarze Hunde, die rückwärts liefen, Gnome mit Eselsköpfen und übernatürliche Padfoots. Es gab viele Dinge, die verwirrten, nicht alles ging auf Einbildungen zurück, und die Tochter des Bauern zog es vor – obwohl oder vielleicht auch weil sie im Tal verwurzelt war –, die Dunkelheit zu meiden.
Sie blickte auf die gegenüberliegende Seite des Feldweges, wo sie eine leichte Bewegung wahrnahm. Als sie genauer hinsah, erhob sich ein schlangenartiger Kopf über das Gras, und mit fünf oder sechs Sätzen hüpfte die kleine, dunkle Gestalt eines Wiesels über den Schotter hinweg auf ihre eigene Seite zu und lief in die Richtung des Waldes weiter. Kaum war es verschwunden, überquerte ein zweites Wiesel den Weg, und ein drittes tauchte auf. »Teufel«, rief das Mädchen, »die Nacht ist voller Wiesel, die Wilderers Weg entlanglaufen!«
»Das Wetter, vielleicht.« Ihr Vater stand in der Tür. »Es ist reichlich trocken zur Zeit. Die Tiere suchen sich bei solch einem Wetter einen anderen Platz.« Er stieß eine Rauchwolke aus. »Noch eine Nacht ohne Regen, und wir können gutes Heu machen.«
Das Mädchen legte die Wäsche zusammen, und er betrachtete sie dabei. Ihre raschen, gekonnten Bewegungen waren ihm vertraut: Sie glich ihrer Mutter in so vielen Dingen. Sie würde jemandem, vielleicht dem jungen Techniker, eine lebhafte Ehefrau sein. Der Witwer lächelte, seine Augen bewegten sich hinter dem aufsteigenden Rauch. Er wollte sie nicht an sich binden, war aber, wie sein gerötetes Gesicht, über das ein kurzes Lächeln huschte, andeutete, ein herzlicher Vater, und er wußte, daß sie irgendwann ihren eigenen Weg gehen würde. »Es ist eine Laune«, griff er das Thema wieder auf. »Tiere sind launisch. Ich denke, sie sind von irgendeiner Stimmung erfaßt worden.«
»Die Zigeuner sagen, daß die Wiesel in der Nacht mit der ganzen Sippe auf die Jagd gehen.«
»Mag sein. In den Büchern steht, daß sie allein leben; das ist auch meine Ansicht. Ich habe sie vom Trecker aus beobachtet – meistens Einzelgänger.«
»Wilderer hat erzählt, daß er einmal eine Wieselbande gesehen hat.«
»Ja, ja, Wilderer hat erzählt …« Der Mann stopfte die Pfeife mit seinem dicken Zeigefinger nach und zündete sie wieder an. Er atmete die Nachtluft tief ein. Er konnte das letzte Heu riechen, das er am Abend gewendet hatte; morgen würde er es einfahren, wenn das trockene Wetter anhielt. Auf der Schwelle lag eine Maus, getötet und zurückgelassen von einer Katze, die überfüttert gewesen war. Wolken zogen auf, und vom Talboden erhoben sich warme Luftströme.
Jenseits des Gartens, zwischen Stangenbohnenreihen und dunklen Bäumen hindurch, schimmerte schwach ein Licht unter der Dachkante von Wilderers Häuschen. Der Mann ging zurück in die Stube – zu der Strohpuppe in der Ecke und zu der gehäkelten
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