Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
Vom Netzwerk:
Entwicklungen in der Natur, in der physischen Welt
und in der menschlichen Situation zyklische Strukturen des
Kommens und Gehens, der Ausdehnung und der Kontraktion
aufweisen.
    Diese Vorstellung war zweifellos von der Bewegung der
Sonne und des Mondes und vom Wechsel der Jahreszeiten abgeleitet, wurde aber dann auch als Regel des Lebens aufgefaßt.
Die Chinesen glauben, daß eine Situation, die sich bis zum
äußersten entwickelt, sich wenden und in ihr Gegenteil umschlagen muß. Dieser Grundglaube gab ihnen Mut und Durchhaltevermögen in Zeiten der Not und machte sie vorsichtig und
bescheiden in Zeiten des Erfolges. Er führte zur Doktrin der
goldenen Mitte, an die Taoisten und
Konfuzianer glauben.
Lao-tzu sagt: »Der Weise vermeidet das Übermaß, die Zügellosigkeit und die Genußsucht.« 7
    Nach chinesischer Ansicht ist es besser, zu wenig zu haben als
zu viel, und besser, etwas ungetan zu lassen, als es zu übertreiben, denn wenn man auch auf diese Weise nicht sehr weit
kommt, so geht man doch bestimmt in der richtigen Richtung.
Wer weiter und weiter nach Osten gehen will, findet sich im
Westen wieder, und wer mehr und mehr Geld anhäuft, um seinen Reichtum zu vergrößern, wird arm enden. Die moderne
Industriegesellschaft mit ihrem stetigen Versuch, den »Lebensstandard« zu heben, die dabei aber die Lebensqualität für alle
ihre Mitglieder senkt, ist eine überzeugende Veranschaulichung dieser alten chinesischen Weisheit. Die Vorstellung von
der zyklischen Struktur der Bewegung des Tao erhielt durch die
Gegenpole Yin und Yang ein definiertes Gerüst. Sie sind die
beiden Pole, die den Zyklus des Wandels in seine Grenzen setzen.
    Hat Yang seinen Gipfel erreicht, zieht es sich zugunsten des Yin zurück; hat Yin seinen Gipfel erreicht, zieht es sich zugunsten des
Yang zurück. 8
    Nach chinesischer Ansicht werden alle Manifestationen des
Tao durch das dynamische Zusammenspiel dieser beiden polaren Kräfte erzeugt. Diese Vorstellung ist sehr alt, und viele Generationen haben am Symbolismus des archetypischen Paares
Yin und Yang gearbeitet, bis es zum Grundbegriff der chinesischen Gedankenwelt wurde. Die ursprüngliche Bedeutung der
Worte Yin und Yang war die der schattigen und der sonnigen
Seite eines Berges, eine Bedeutung, die eine gute Vorstellung
von der Relativität der beiden Begriffe gibt:
Was einmal das Dunkle und einmal das Lichte hervortreten läßt,
das ist der Sinn (Tao). 9
    Seit alters her repräsentieren die beiden archetypischen Pole
der Natur nicht nur hell und dunkel, sondern auch männlich
und weiblich, fest und nachgiebig, oben und unten. Yang, die
starke, männliche, schöpferische Kraft, wurde mit dem Himmel
assoziiert; Yin, das dunkle, empfangende, weibliche Element,
dagegen mit der Erde. Der Himmel ist oben und voller Bewegung, die Erde - nach der alten geozentrischen Anschauung unten und in Ruhe, und somit symbolisiert Yang Bewegung
und Yin Ruhe. Im Reich der Gedanken ist Yin die komplexe,
weibliche, intuitive Denkweise, Yang der klare und rationale
männliche Intellekt. Yin ist die stille, nachdenkliche Ruhe des
Weisen, Yang die starke, schöpferische Tatkraft des Königs.
Der dynamische Charakter von Yin und Yang wird durch das
alte chinesische Symbol T'ai-chi Tu oder »Diagramm des Allerhöchsten Prinzips« illustriert:
    Dieses Diagramm ist eine symmetrische Anordnung des dunklen Yin und des hellen Yang, aber die Symmetrie ist nicht
statisch. Es ist eine Rotationssymmetrie, die sehr stark eine
kontinuierliche zyklische Bewegung suggeriert:
Yang kehrt zyklisch zu seinem Anfang zurück; Yin erreicht sein
Maximum und macht dem Yang Platz. 10
    Die beiden Punkte im Diagramm symbolisieren die Vorstellung, daß jedesmal, wenn eine der beiden Kräfte ihren Extremwert erreicht, sie bereits die Saat des Gegenteils in sich
trägt.
    Das Paar Yin und Yang ist das große Leitmotiv, das die chinesische Kultur durchzieht und alle Züge der traditionellen
chinesischen Lebensweise bestimmt. Chuang-tzu sagt: »Leben
ist die gemischte und aufeinander abgestimmte Harmonie von
Yin und Yang.« 11 Als ein Volk von Bauern waren die, Chinesen
mit den Bewegungen von Sonne und Mond und mit dem Wechsel der Jahreszeiten vertraut. Jahreszeitliche Wandlung und die
daraus entstehenden Phänomene von Wachstum und Verfall in
der organischen Natur sahen sie somit als klarsten Ausdruck
des Zusammenspiels zwischen Yin und Yang, zwischen dem
kalten und dunklen Winter und dem hellen und warmen Sommer. Das jahreszeitliche

Weitere Kostenlose Bücher