Das Tao der Physik
sondern eher das Aufdecken der Disposition der gegenwärtigen Lage, um richtig handeln zu können. Diese Haltung erhob das / Ching über das Niveau eines
gewöhnlichen Wahrsagebuches und machte es zu einem Buch
der Weisheit.
Die Benutzung des/ Ching als Buch der Weisheit ist in Wirklichkeit von weit größerer Bedeutung als seine Benutzung als
Orakel. Es hat die führenden Köpfe Chinas in jedem Zeitalter
inspiriert, unter anderen Lao-tzu, der einige seiner tiefsinnigsten Aphorismen aus dieser Quelle bezog. Konfuzius studierte
es intensiv, und die meisten Kommentare zum Text, die die späteren Schichten des Buches ausmachen, gehen auf seine Schule
zurück. Diese Kommentare, die sogenannten »Zehn Flügel«,
kombinieren die strukturelle Deutung der Diagramme mit philosophischen Erklärungen. Im Zentrum der konfuzianischen
Kommentare, wie auch des ganzen/ Ching, liegt die Betonung
des dynamischen Aspekts aller Phänomene. Die ununterbrochene Umwandlung aller Dinge und Verhältnisse ist die zentrale Aussage des »Buches der Wandlungen«:
Die Wandlungen sind ein Buch,
Dem man nicht ferne bleiben darf.
Sein Sinn ist stets wechselnd,
Veränderung, Bewegung ohne Rast,
Durchfließend die sechs leeren Plätze;
Sie steigen und fallen ohn' Verharren,
Die Festen und die Weichen wandeln sich.
Man kann sie nicht in eine Regel schließen;
Nur Änderung ist es, was hier wirkt. 14
Taoismus 8
Von den beiden wichtigsten chinesischen Denkrichtungen,
Konfuzianismus und Taoismus, ist letzterer der mystisch orientierte und somit von größerer Bedeutung für unseren Vergleich
mit der modernen Physik. Wie der Hinduismus und Buddhismus ist der Taoismus mehr an intuitiver Weisheit interessiert
als an rationalem Wissen. In Erkenntnis der Grenzen und der
Relativität des rationalen Denkens ist der Taoismus im Grunde
ein Weg der Befreiung von dieser Welt und in dieser Hinsicht
mit den Wegen des Yoga und des Vedanta im Hinduismus oder
mit dem Achtfachen Pfad des Buddha vergleichbar. Im Kontext der chinesischen Kultur bedeutete die taoistische Befreiung im besonderen eine Befreiung von den strikten Regeln der
Konvention. Mißtrauen gegenüber konventionellem
Wissen
und Argumentieren ist im Taoismus stärker als in allen anderen
Schulen östlicher Philosophie. Es basiert auf dem festen Glauben, daß der menschliche Intellekt niemals das Tao verstehen
kann. Mit den Worten Chuang-tzus:
Das größte Wissen weiß es nicht unbedingt; Argumentieren macht
die Menschen nicht darin weise. Die Weisen haben gegen beide dieser Methoden entschieden. 1
Chuang-tzus Buch ist voll von Passagen, die die Geringschätzung des Taoisten von Argumentation und Diskussion widerspiegeln, z. B.:
Ein Hund gilt nicht als gut, weil er gut bellt, und ein Mann gilt nicht
als weise, weil er gewandt redet. 2
Oder:
Der Disput ist ein Beweis dafür, daß keine Klarheit herrscht. 3 Logisches Argumentieren sowie gesellschaftliche Etikette und
Moral betrachteten die Taoisten als Teil der künstlichen Welt
des Menschen. Sie waren an dieser Welt überhaupt nicht interessiert, sondern konzentrierten ihre Aufmerksamkeit ganz auf
die Beobachtung der Natur, um die »Merkmale des Tao« zu erkennen. So entwickelten sie eine im Grunde wissenschaftliche
Haltung, und nur ihr tiefes Mißtrauen gegenüber der analytischen Methode hielt sie davon ab, richtige wissenschaftliche
Theorien aufzustellen. Nichtsdestoweniger führte die sorgfältige Beobachtung der Natur, kombiniert mit starker mystischer
Intuition, die taoistischen Weisen zu tiefen Einsichten, die von
modernen wissenschaftlichen Theorien bestätigt werden.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Taoisten war, daß
Umwandlung und Wechsel wesentliche Züge der Natur sind.
Eine Passage bei Chuang-tzu zeigt deutlich, wie die fundamentale Bedeutung des Wandels durch Beobachtung der organischen Welt erkannt wurde:
Im Wandel und im Wachstum aller Dinge hat jeder Keim und jeder
Zug die ihm gemäße Form. Darin sehen wir ihr allmähliches Reifen
und Verfallen, den konstanten Fluß von Wandlung und Wechsel. 4
Die Taoisten sahen jede Wandlung in der Natur als Manifestation des Zusammenspiels zwischen den Gegenpolen Yin und
Yang, und so glaubten sie, daß in jedem Gegensatzpaar die
Pole dynamisch aufeinander bezogen sind. Es fällt dem westlichen Denken außerordentlich schwer, diese Vorstellung von
der Einheit aller Gegensätze zu akzeptieren. Es erscheint uns
ausgesprochen paradox, daß Erfahrungen und Werte, die wir
immer für
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