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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
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kann jedoch das Chuang-tzu und wahrscheinlich auch das Lao-tzu nicht als
Werk eines einzelnen Autors betrachtet werden, sondern stellt
eher eine Sammlung taoistischer Schriften dar, die von verschiedenen Autoren zu verschiedenen Zeiten zusammengetragen wurden.
    Sowohl die Konfuzianischen Analekten als das Tao Te Ching sind in dem kompakten, suggestiven Stil geschrieben, der für
die chinesische Denkweise typisch ist. Der chinesischen Mentalität lag abstraktes logisches Denken nicht, und sie entwickelte
eine Sprache, die sich von den westlichen stark unterscheidet.
Viele ihrer Wörter konnten als Hauptwörter, Adjektive oder
Verben benutzt werden, und ihre Reihenfolge wurde nicht so
sehr durch grammatische Regeln, sondern durch den Gefühlsinhalt des Satzes bestimmt. Das klassische chinesische Wort unterschied sich stark von einem abstrakten, einen klaren Begriff
darstellenden Zeichen. Es war eher ein Lautsymbol mit starker
suggestiver Kraft, das einen unbestimmten Komplex bildlicher
Vorstellungen und Emotionen hervorrief. Der Sprechende beabsichtigte nicht so sehr, eine intellektuelle Idee auszudrücken,
sondern eher den Zuhörer anzusprechen und zu beeinflussen.
Dementsprechend waren die Schriftzeichen nicht einfach abstrakte Chiffren, sondern eine organische Struktur, eine »Gestalt«, die den ganzen Komplex der Vorstellungen und die suggestive Kraft des Wortes enthielten.
    Da sich die chinesischen Philosophen in einer für ihre Denkweise so gut geeigneten Sprache ausdrückten, konnten ihre
Schriften und Aussagen kurz und unscharf artikuliert und dennoch reich an suggestiven Bildern sein. Es ist klar, daß vieles
von diesen Bildern bei Übersetzungen in andere Sprachen verlorengeht. Die Übersetzung eines Satzes aus dem Tao Te Ching zum Beispiel kann nur einen kleinen Teil des reichen Ideenkomplexes des Originals wiedergeben. Daher sehen verschiedene Übersetzungen voller Widersprüche oft wie völlig andere
Texte aus. Wie Fung Yu-Lan sagte: »Es bedarf einer Kombination aller schon bestehenden Übersetzungen und vieler noch zu
machenden, um den Reichtum der Originalfassung des Lao-tzu
und der Konfuzianischen Analekten zu enthüllen.« 3
    Die Chinesen glauben wie die Inder, daß es eine letzte Realität gibt, die den von uns beobachteten Dingen und Ereignissen
zugrunde liegt und die sie vereinigt:
    Es gibt die drei Ausdrücke - »vollkommen«, »allumfassend«, »das
Ganze«. Diese Namen sind verschieden, aber die in ihnen zu suchende Realität ist die gleiche: Bezug auf das Eine. 4
    Sie nannten diese Realität das »Tao«, was ursprünglich »Weg«
bedeutete. Es ist der Weg oder der Prozeß des Universums, die
Ordnung der Natur. Später gaben ihm die Konfuzianer eine
andere Deutung. Sie sprachen vom Tao des Menschen oder
dem Tao der menschlichen Gesellschaft und verstanden es als
die richtige Lebensart im moralischen Sinn.
    In seinem ursprünglichen, kosmischen Sinn ist das Tao die
letzte, undefinierbare Realität und damit das Gegenstück zum
hinduistischen brahman und dem buddhistischen dharmakaya. Es unterscheidet sich jedoch von diesen indischen Begriffen
durch seine innere Dynamik, die nach chinesischer Ansicht die
Essenz des Universums ist. Das Tao ist der kosmische Prozeß,
an dem alle Dinge beteiligt sind; die Welt wird als dauerndes
Fließen und dauernder Wandel gesehen.
    Der indische Buddhismus mit seiner Doktrin von der Unbeständigkeit hatte ähnliche Ansichten, jedoch nur als Grundbedingung der menschlichen Situation, und wandte sich dann ihren psychologischen Konsequenzen zu. Die Chinesen glauben
andererseits nicht nur, daß Fließen und Wandel das Wesen der
Natur ausmachen, sondern auch, daß es konstante Strukturen
in diesem Wandel gibt, die der Mensch beobachten soll. Der
Weise erkennt diese Strukturen und richtet sein Handeln danach aus. Damit wird er »eins mit dem Tao«, lebt in Harmonie
mit der Natur und hat Erfolg mit allem, was er unternimmt. Mit
den Worten von Huai Nan-tzu, eines Philosophen des zweiten
Jahrhunderts v. Chr.:
    »Wer mit dem Lauf des Tao übereinstimmt und den natürlichen
Vorgängen des Himmels und der Erde folgt, findet es leicht, die
Welt zu lenken.« 5
    Was ist also die Struktur des kosmischen Weges, die der
Mensch erkennen soll? Das Hauptmerkmal des Tao ist die zyklische Natur seiner unaufhörlichen Bewegung und Wandlung.
Lao-tzu sagt: »Die Bewegung des Tao ist das Zurückkehren«,
und: »Weit gehen heißt zurückkehren.« 6 Es ist die Vorstellung,
daß alle

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