Das Tao der Physik
Erfahrung so groß ist, daß wir annehmen können, Vorgänge im Augenblick ihres Geschehens zu beobachten. Dies trifft jedoch
nicht zu. Licht braucht Zeit für den Weg vom Vorgang zum Beobachter. Normalerweise ist diese Zeit so kurz, daß die Ausbreitung des Lichtes als augenblicklich betrachtet werden kann.
Wenn sich aber der Beobachter mit hoher Geschwindigkeit
(bezogen auf das beobachtete Phänomen) bewegt, spielt die
Zeitspanne zwischen dem Geschehen und der Beobachtung eines Ereignisses eine entscheidende Rolle bei der Aufstellung
einer Zeitfolge von Ereignissen. Einstein erkannte, daß sich
verschieden schnell bewegende Beobachter in solch einem Fall
die Ereignisse zeitlich verschieden anordnen. Zwei Vorgänge,
die ein Beobachter gleichzeitig sieht, können dem anderen in
einer verschiedenen zeitlichen Reihenfolge erscheinen. Für
gewöhnliche Geschwindigkeiten sind die Unterschiede so
klein, daß sie nicht festgestellt werden können, wenn sich die
Geschwindigkeiten aber der Lichtgeschwindigkeit
nähern,
verursachen sie meßbare Effekte. In der Hochenergie-Physik,
wo die Ereignisse aus Wechselwirkungen zwischen Teilchen
bestehen, die sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, ist
die Relativität der Zeit fest verankert und durch zahllose Versuche bestätigt.
Die Relativität der Zeit zwingt uns auch, den Newtonschen
Begriff des absoluten Raumes aufzugeben. Dieser Raum enthielt zu jedem Augenblick eine definitive Anordnung von Materie. Aber jetzt, da Gleichzeitigkeit als relativer Begriff erkannt ist, die vom Bewegungszustand des Beobachters abhängt, kann man einen solchen bestimmten Augenblick für das
ganze Universum nicht mehr definieren. Ein entferntes Ereignis, welches für einen Beobachter zu einem bestimmten Zeitpunkt auftritt, kann für einen anderen früher oder später eintreten. Es ist daher unmöglich, von einem »Universum zu einem gegebenen Augenblick« zu sprechen. Es gibt keinen absoluten, vom Beobachter abhängigen Raum.
Die Relativitätstheorie hat somit gezeigt, daß alle Messungen von Raum und Zeit ihre absolute Bedeutung verlieren und
daß die klassischen Begriffe vom absoluten Raum und von der
absoluten Zeit hinfällig sind. Da Raum und Zeit jetzt auf die
subjektive Rolle von sprachlichen Elementen reduziert sind,
die ein bestimmter Beobachter für seine Beschreibung von Naturphänomenen benutzt, wird jeder Beobachter die Phänomene auf verschiedene Weise beschreiben. Um universale Naturgesetze aus ihren Beschreibungen abzuleiten, müssen diese
Gesetze so formuliert werden, daß sie in allen Koordinatensystemen die gleiche Form haben, d. h. für alle Beobachter an
willkürlichen Orten und in relativer Bewegung. Diese Forderung ist als das »Relativitätsprinzip« bekannt und war der Ausgangspunkt für die Relativitätstheorie. Interessant ist, daß der
Keim der Relativitätstheorie in einem Paradox steckte, das
dem jungen Einstein auffiel, als er sechzehn war. Er versuchte
sich vorzustellen, wie ein Lichtstrahl für einen mit Lichtgeschwindigkeit neben ihm herreisenden Beobachter aussehen
würde. Er kam zu dem Schluß, daß dieser Beobachter den
Lichtstrahl als hin- und herschwingendes, sich nicht fortbewegendes elektrisches Feld sehen würde, d. h. ohne Wellen zu bilden. Solch ein Phänomen ist jedoch in der Physik unbekannt.
Somit schien es dem jungen Einstein, daß etwas, was ein Beobachter als wohlbekanntes elektromagnetisches Phänomen sah,
nämlich als Lichtwelle, dem anderen Beobachter als ein den
Gesetzen der Physik widersprechendes Phänomen erscheinen
würde; und das konnte er nicht akzeptieren. In späteren Jahren
wurde Einstein klar, daß das Relativitätsprinzip für die Beschreibung
elektromagnetischer Phänomene nur dann gilt,
wenn alle räumlichen und zeitlichen Angaben relativ sind. Die
Gesetze der Mechanik, die die Bewegung von Massenkörpern
beschreiben, und die Gesetze der Elektrodynamik, der Theorie
von Elektrizität und Magnetismus, können dann in einem gemeinsamen »relativistischen« Gerüst formuliert werden, welches mit den drei Raumkoordinaten die Zeit als vierte, zum
Beobachter relative, Koordinate einschließt.
Um zu prüfen, ob das Relativitätsprinzip erfüllt ist, d. h. ob
die Gleichungen der Theorie in allen Koordinatensystemen
gleich aussehen, muß man natürlich die Raum- und Zeit-Angaben von einem Koordinatensystem oder »Bezugsrahmen« in
den anderen übertragen können. Solche Übertragungen oder
»Transformationen« waren schon in der
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