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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
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klassischen Physik bekannt und wurden häufig angewandt. Die Transformationen
zwischen den beiden im Bild (S. 165) gezeigten Bezugssystemen
zum Beispiel zeigt beide Koordinaten des Beobachters A (das
Koordinatenkreuz mit Pfeilspitze ist im Bild eingetragen) als
Kombination der Koordinaten des Beobachters B und umgekehrt. Die genauen Ausdrücke können mit Hilfe elementarer
Geometrie leicht ermittelt werden.
    In der relativistischen Physik entsteht eine neue Situation, da
die Zeit als vierte Dimension den drei Raumkoordinaten hinzugefügt wird. Da die Transformation zwischen verschiedenen
Bezugssystemen jede Koordinate des einen Systems als Kombination der Koordinaten des anderen Systems ausdrückt, erscheint eine Raumkoordinate des einen Systems im allgemeinen im anderen System als Mischung von Raum- und Zeitkoordinaten. Dies ist nun wirklich eine ganz neue Situation. Jeder Wechsel des Koordinatensystems vermischt Raum und Zeit
auf mathematisch klar definierte Art. Die beiden können daher
nicht mehr auseinandergehalten werden, da, was dem einen
Beobachter als Raum erscheint, für den anderen eine Mischung
aus Zeit und Raum darstellt. Die Relativitätstheorie zeigte, daß
der Raum nicht dreidimensional und die Zeit keine selbständige Einheit ist. Beide sind innig und untrennbar verbunden
und bilden ein
vierdimensionales
Kontinuum,
welches
»Raum-Zeit« genannt wird. Dieser Begriff von »Raum-Zeit«
wurde von Hermann Minkowski in einer berühmten Vorlesung
1908 mit folgenden Worten eingeführt:
    Die Ansichten von Raum und Zeit, die ich Ihnen unterbreiten
möchte, wuchsen aus dem Boden der Experimentalphysik, und
darin liegt ihre Stärke. Sie sind radikal. Von nun an sind der Raum
an sich und die Zeit an sich verurteilt, zu wesenlosen Schatten zu
verblassen, und nur eine Art Vereinigung der beiden wird eine unabhängige Realität bewahren. 3
    Die Begriffe von Raum und Zeit sind für die Beschreibung der
Naturphänomene derart grundlegend, daß ihre Modifikation
eine Änderung des ganzen Gerüstes, das wir in der Physik zur
Naturbeschreibung benutzen, zur Folge hat. Im neuen Gerüst
werden Raum und Zeit gleich behandelt und sind untrennbar
miteinander verbunden. In der relativistischen Physik können
wir nicht über die Zeit sprechen, ohne über den Raum zu sprechen, und umgekehrt. Dieses neue Gerüst muß immer dann angewendet werden, wo hohe Geschwindigkeiten auftreten.
    Die innige Verbindung zwischen Raum und Zeit war in der
Astronomie in einem anderen Zusammenhang lange vor der
Relativitätstheorie bekannt. Astronomen und Astrophysiker
haben mit außerordentlich großen Entfernungen zu tun, und
hier ist wieder die Tatsache wichtig, daß Licht für die Reise vom
beobachteten Objekt zum Beobachter Zeit benötigt. Da die
Lichtgeschwindigkeit nicht unendlich ist, sehen die Astronomen das Universum nie in seinem gegenwärtigen Zustand, sondern schauen immer zurück in die Vergangenheit. Das Licht
braucht acht Minuten für den Weg von der Sonne zur Erde, und
somit sehen wir die Sonne immer so, wie sie vor acht Minuten
war. Genauso sehen wir den nächsten Stern dort, wo er vor vier
Jahren war, und mit unseren starken Teleskopen können wir
Galaxien sehen, wie sie vor Jahrmillionen existierten.
    Die begrenzte Lichtgeschwindigkeit ist für die Astronomen
keineswegs ein Hindernis, sondern ein großer Vorteil. Sie erlaubt ihnen, die Entwicklung von Sternen, Sternhaufen und
Galaxien in allen Stadien durch einfaches Hinausschauen in
den Raum und Zurückschauen in die Zeit zu beobachten. Alle
Arten von Phänomenen, die während der letzten Jahrmillionen
aufgetreten sind, können tatsächlich irgendwo am Himmel beobachtet werden. Astronomen wissen daher, wie wichtig die
Verbindung zwischen Raum und Zeit ist. Die Relativitätstheorie besagt, daß diese Verbindung nicht nur beim Umgang mit
großen Entfernungen, sondern auch mit hohen Geschwindigkeiten von Bedeutung ist. Selbst hier auf der Erde sind Entfernungsmessungen nicht zeitunabhängig, weil der Bewegungszustand des Beobachters und somit ein Bezug zur Zeit zu berücksichtigen ist.
    Wie im vorigen Kapitel erwähnt, hat die Vereinigung von
Raum und Zeit die Vereinigung anderer Grundbegriffe zur
Folge, und dieser vereinigende Aspekt ist der charakteristischste Zug des relativistischen Gerüsts. Begriffe, die in der nichtrelativistischen Physik völlig unabhängig schienen, sehen wir
jetzt lediglich als verschiedene Aspekte ein und desselben Begriffs. Dieser Zug verleiht dem

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