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Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisa Brand
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oder war sie mager wie ein Gestell zum Trocknen feuchter Wäsche? Zugegeben, die Hände, die sie jetzt zum Gebet schloss, waren hübsch. Von sahnigem Weiß und schmal, wie Madonnenschnitzer sie früher gestaltet hätten. Den Kopf mit der schweren Haube hielt die farblose Kreatur gesenkt. Bewegte sie die Lippen im Gebet? Man konnte sich das nichtssagende Gesicht zu all dem leicht ausmalen oder es genauso gut lassen, entschied Samuel van Berck und schloss den Spalt im Samtvorhang, durch den er die einsame Kirchenbesucherin studiert hatte.
    Mit gerunzelten Brauen sank er in die Polster eines ausgedienten Beichtstuhls. Blicklose Engelsgesichter starrten aus einem hölzernen Himmel auf ihn herab. Zimmerleute hatten ihnen die Juwelenaugen herausgebrochen und mit Beilen die Heiligen auf den Schmucksäulen geköpft. So roh und beiläufig, wie sechs Jahre zuvor eine Meute Soldaten seinem Lehrer, dem Mönch Gregorius, den Schädel eingeschlagen hatte. Im Namen von König Heinrich dem Achten und seiner neuen Kirche. Sie hatten ihm auf den Stufen eines Seitenaltars mit der Axt den Schädel gespalten. Vor der Mutter Gottes hatte der Abt für Erhalt und Schutz seines kleinen Klosters nahe Canterbury gebetet. Umsonst.
    Noch einmal trampelten in seinem Kopf Heinrichs Schergen über Tote hinweg, jagten die Brüder und Schüler der Abtei wie Treibvieh, schlachteten sie johlend, rissen das Marienbild vom Sockel. Es zerschellte auf den Kacheln. Herrliche Fenster wurden mit Piken in vielfarbige Splitter zerschlagen, das Kruzifix mit dem geschnitzten Leib Christi zerhackt und damit ein Feuer entfacht. Am Ende plünderten sie den Reliquienschrein des Heiligen Dunstan.
    Der Mund des jungen Mannes zog sich zu einem harten Strich. Einige Lateinschüler der Abtei hatten eilfertig Heiligenfiguren zum Feuer geschleppt, die Hosen nass vor Angst und in der Hoffnung, den Schwertern der königlichen Mörder zu entgehen. Niemand hatte gewagt, sich ihnen entgegenzustellen. Auch er nicht.
    Lord Dudley, damals noch ein Mann ohne nennenswerte Titel, war der Anführer der Mörder gewesen. Hoch zu Pferd und mit unbeteiligter Miene hatte er das Kesseltreiben beobachtet. Samuel van Bercks junges Gesicht verzerrte sich in unversöhnlichem Hass.
    Gab es ein einziges Gebot, dass diese Reformer an diesem Tag nicht gebrochen hatten? Ihre Religion war grausamste Blasphemie. Die Kirche, die sie den Gläubigen gebaut hatten, erzeugte Furcht und schenkte weder Trost noch Vertrauen.
    Die Reformer hatten den Menschen den Schutz der Abtei und der uralten Rituale genommen, um selber hemmungsloser Gier zu frönen. Freudlos und hässlich war ihre Kirche des neuen Glaubens! Wie das Mädchen im Krähengewand. Cass.
    Noch einmal teilte er den Samtvorhang, sah, wie sie still ihre Bibel durchforschte. Mit zitternden Händen zog sie einen Papierstreifen hervor und studierte ihn, als handele es sich um ein neu entdecktes Evangelium. Waren es Anweisungen von Dudley? Wie töricht, sie aufzubewahren und mit sich herumzutragen! Diese Krähe schien zu allem Überfluss dumm zu sein. Und sie war die neue Waffe des Lords im Kampf um seine brüchige Macht? Samuel van Berck schüttelte zweifelnd den Kopf. Sein Dienstherr Jehan Scheyfve musste sich irren.
    Aber der spanisch-katholische Botschafter irrte selten. Seine Spitzel am Tudor-Hof hatten die Ohren überall. So wie jetzt er, obwohl ihm die Aufgabe widerstrebte. Wieder sollte er nur zuschauen statt handeln. Ich will endlich offen und mit Leib und Leben für den katholischen Glauben einstehen. Stattdessen sitze ich in einem Beichtstuhl und spähe eine Krähe aus!
    Der junge Mann seufzte lautlos. Grimmig wiederholte Samuel im Geist das Wortgefecht, dass er gestern im Schreibzimmer mit seinem Dienstherrn geführt hatte.
    »Seid Ihr wirklich bereit, Euren Leib für die heilige katholische Kirche und Maria Tudor einzusetzen?«, hatte das Schlitzohr Scheyfve feierlich gefragt und ein Geheimfach seines Schreibtischs geöffnet, in dem er gewöhnlich eine lateinische Bibel verwahrte. Samuel war dem Bibelschwur vorausgeeilt. »Ich schwöre es, bei allem, was mir heilig ist«, hatte er beteuert und war seinem Dienstherrn wie eine Fliege auf den Leim gekrochen. Scheyfve hatte genickt und statt einer Bibel eine Schale mit kandierten Kirschen aus dem Schubfach gezogen.
    »Ich weiß aus recht sicherer Quelle, dass König Edwards Tage gezählt sind«, hatte Scheyfve begonnen. »Wenn das stimmt, gilt es unserer geliebten Maria Tudor zu ihrem Recht auf

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