Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Hofes. Um zu wissen, was die Zukunft bringt, reime ich die Fragen zu Antworten zusammen. Dazu muss man nur das Alphabet menschlicher Gier beherrschen. Das habe ich in meinem vergangenen Leben ausführlich studiert.«
»Versteh schon, aber ... Das mit Eurem linken Auge ist wirklich toll. Könnt Ihr das noch mal machen?«
Der Prophet ließ den Augapfel nach hinten gleiten. Seine Pupille verschwand.
»Verdammt, das nenn ich mal einen Trick! Wo habt ihr den gelernt?«
»Im little ease hat man viel Zeit, um sich über die Grenzen seines Leibes und die Gesetze der Zeit zu erheben. Und das, lieber Nat, ist mehr als ein Trick. Wer den Blick von der Welt löst und ihn wahrhaftig auf den Urgrund der Seele lenkt, wird den Engeln begegnen.«
Oder dem Teufel, dachte Nat.
Enoch lächelte. »Auch Satan war ein Engel, Nat.«
Donnerschlag! Verblüfft sperrte der Junge den Mund auf. Mühsam kramte er nach Worten. »Das ist mir zu hoch.«
»Eines Tages wirst du es verstehen. Wie wir Menschen kennt Luzifer den Verlust von Unschuld und Glückseligkeit. Man kann von ihm lernen, wenn man Schmerz nicht scheut. Er ist ein unerbittlicher, aber sehr genauer Lehrer. Ohne ihn gäbe es keine Heilung, und meist ist das, wovon wir uns heilen wollen, genau das, was uns heilt.«
Nat runzelte misstrauisch die Stirn.
Enochs Lächeln vertiefte sich. »Du hältst mich noch immer für einen Scharlatan? Nun, dann lauf diesem Tölpel von Pagen hinterher. Er überschätzt seine Talente im selben Maße, wie du meine unterschätzt.«
Nat zuckte die Achseln. »Was hab ich mit diesem Lackei von Pagen zu schaffen?«
»Du tätest ein gutes Werk! Und du bist ein anständiger Kerl.«
»Gute Werke? Ich steh im Dienst von Painbody, dem König der Themsekais, der hält nichts von so was.«
Enochs Gesicht war mit einem Mal ganz Aufmerksamkeit. »Joshua Painbody ist dein Herr? Sieh an, sieh an! Mein kleiner Freund, darum haben die Engel mir vorhin eine Unterhaltung mit dir empfohlen.«
Merkwürdige Engel. Was lag ihnen an einem ehemaligen Folterknecht und Herrn der Diebe? »Ihr kennt Painbody?«
»Aus einem früheren Leben, gewiss.«
»Ihr meint vom Tower her?«
Der Prophet schloss die Augen und nickte bedächtig, sein Mund entspannte sich in einem seligen Lächeln. Nat schüttelte den Kopf. Eigenartig. Der König vom Themsekai löste solche Empfindungen nur selten aus. Schon gar nicht in ihm. »Painbody hat mir mein Bettelpatent besorgt. Er sieht’s nicht gern, wenn ich zu oft eigenen Geschäften nachgehe. Vor allem wenn sie, wie heute Nacht, keinen Penny einbringen! Wenn er schlecht gelaunt ist, gerbt er mich dafür mit der Hundegerte.«
Der Alte reichte die Lederbörse zum zweiten Mal durchs Gitter. »Nimm und kauf dich eine Weile aus Painbodys Herrschaft frei. Grüß ihn von mir und sag ihm, du wirst ihm bald mehr und weit Wertvolleres bringen.«
Nat haschte nach dem Beutel und wühlte nach einer Münze. Er fand die größte und biss hinein. Das Metall gab unter seinen Zähnen nach.
»Christus! Das ist durch und durch Silber!«, stieß er verblüfft hervor. »Darf ich die behalten?«
»Du kannst den ganzen Beutel haben.«
Nats Augen rundeten sich in ungläubigem Staunen.
Enoch lächelte und öffnete seine Handfläche. »Ich habe mich schon bedient. Man zahlt mich hiermit.«
Nat senkte seine Fackel und entdeckte einen flachen Stein, kaum größer als ein Penny.
»Mit bunten Kieseln?« Der Mann war doch irre!
»Sieh genau hin.«
Ohne Begeisterung betrachtete der Junge den rötlichen Stein. Weiße Adern durchzogen ihn wie Sehnen das Fleisch.
»Naja, ganz hübsch – für einen Stein«, meinte Nat ohne große Überzeugung.
»Mein Sohn, dies ist ein biblischer Sarder, ein Grundstein des neuen Jerusalem. An anderer Stelle freilich wird er Zierde von Satans Brustpanzer genannt. Wie auch immer, ich brauche ihn für das, was vor mir liegt. Es heißt, der Sarder verleiht seinem Besitzer Kraft und einen unbestechlichen Verstand.«
Den hast du echt nötig. Nat steckte die Börse rasch in sein Hemd. »Jerusalem? Ganz schön weit weg.«
»Oh nein, mein Jerusalem ist nah. Sehr nah: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.«
»Klingt nach Weltuntergang.«
»Die Stunde der Propheten! Mein großer Auftritt.«
«Wenn Ihr meint«, sagte Nat ungeduldig. »Ich geh dann mal.«
Meister Enoch hielt ihn zurück. »Du kennst deinen Auftrag noch nicht.«
»Ich
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