Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Dudleys zu entkommen. Sie würde ihn darum lieben. Mehr als je einen Menschen zuvor. Mit Leib und Seele! Ganz gleich, was man sonst bei Hof von ihm hielt, sie wusste, dass sein Herz nicht von Stein sein konnte.
In ihrem Rücken knarrte die Kirchentür in den Angeln. Wieder jagte ihr Puls. Endlich. Sein Bote war gekommen!
»Herr, ich danke dir«, flüsterte Cass voller Inbrunst, als die Tür mit hohlem Seufzen ins Schloss fiel.
Wofür dankst du diesmal? Dass du in die Hölle fahren wirst? Der Mann im Beichtstuhl schüttelte sacht den Kopf. War das die Frucht protestantischer Gewissensprüfung, indem man Gott zum Schweigen brachte?
Cass strich mit fiebriger Eile die raue Wolle ihres Kleides glatt, kniff sich die Wangen, um ihnen Röte zu verleihen, und schob ihre Haube nach hinten. Niemand soll sehen, dass ich mich in Gedanken an ihn quäle. Qual macht reizlos.
Eine Stimme zerriss die Stille und setzte Zeit und Welt wieder in Gang.
»Was hast du erbärmliche Höllenbrut hier zu suchen?«
6.
Das Gebetbuch entglitt Cass’ Händen, fiel zu Boden und öffnete sich. Eine Flut loser Blätter ergoss sich über den Boden, das duftende Lesezeichen flatterte unter die Kniebank.
»Beten wird wohl erlaubt sein. Ich hab’s nämlich nötig«, parierte im Portikus eine Knabenstimme. Ein klatschendes Geräusch war die Antwort. Was sonst. Cass zuckte zusammen. Lord Dudley war kein Mann, dem man Widerworte gab. Sie meinte das Brennen seiner Hand auf der eigenen Wange zu spüren. Sie kannte diese gesalzene Handschrift, seit sie zehn war. Gebe Gott, dass der vorlaute Bursche flinke Beine hat!
»Verdammter, unseliger Dudley«, zischte sie. Der Mann im Beichtstuhl horchte verwundert auf, sah, wie sich das Mädchen rasch bückte, die losen Blätter auflas und sie zurück in den Einband stopfte. Dann faltete es eifrig die Hände zum Gebet und deklamierte ein resolutes Vater unser. Was für eine Schauspielerin! Von hinten näherten sich Stiefeltritte, schneidend eilte Dudleys Stimme ihnen voraus.
»Ich habe dich gesucht!« Eine Tatsache, die schlimmster Vorwurf war.
Cass drehte sich voller Gleichmut um. Die Kunst der Verstellung lernte sich schnell bei Master Dudley. Den Blick hielt sie bewusst gesenkt. Ihre Augen waren verlässliche Verräter.
»Euer Gnaden!« Sie glitt aus der Bank und versank vor dem dunkelhaarigen Mann in einem tiefen Knicks. Der Lord trug einen Mantel in prangendem Rot, dazu Handschuhe und Stiefel aus auffallend gelbem Leder. Die Farben seiner Grafschaft Warwick. Sie gehörte zu den vielen neuen Besitztümern des Fünfzigjährigen, und damit auch das Wappenrecht. Das Wams des Grafen und Herzogs zierte ein Bär, der Ketten, mit denen er an einen groben Pflock gebunden war, machtvoll zerriss.
»Du betest? Nun, mir gefällt, dass du endlich regelmäßig und freiwillig die Kirche aufsuchst, aber hat unsere alte Lady Margaret keine Verwendung für dich?«
Cass schüttelte den Kopf. »Sie lässt sich frisieren und sagt, es zieme sich nicht, dabei den Worten des Herrn zu lauschen.« Sie dämpfte mühsam den Spott in ihrer Stimme. Das Recht darauf behielt sich der Lord gern selber vor. »Ich soll ihr vor dem Zubettgehen Gebete aus Bischof Cranmers Common Book of Prayers vorlesen.«
Zu Cass’ Erstaunen zwinkerte der Herzog ihr verschwörerisch zu. »Damit die Frömmigkeit sie im Schlaf überkommt! Vortrefflich. Die alte Vettel sehnt sich gewiss nach der Messe zurück, dem Spektakel, das ihr Getuschel übertönte und prunkvoller Garderobe einen festlichen Rahmen bot. Soll sie nur um vergangenes Glück trauern, uns gereicht ihr Mangel an Glaubensstrenge zum Vorteil. Sie ist froh, wenn du weg bist, und stellt keine Fragen.«
Er straffte den Rücken, seine Stimme nahm die vertraute Schärfe an. »Ich allerdings muss jederzeit wissen, wo du bist und was du tust. Steh auf.«
Gehorsam erhob sich Cass.
»Lass dich anschauen.« Dudley legte einen behandschuhten Finger unter ihr Kinn und hob es an. Seine schwarzen Augen glitten über die Giebelhaube, deren Schläfenlappen bis auf ihre Schultern herabhingen und dort auf ihr reizloses Kleid trafen. Ein Lächeln entspannte das scharf geschnittene Gesicht des Herzogs, dem ein zweigeteiltes lackschwarzes Spitzbärtchen etwas Fuchshaftes verlieh. Er drückte ihr die Haube zurück in die Stirn.
»So ist es perfekt«, lobte er mit seidiger Stimme. »Deine Ausstattung erinnert ihn an seine lammgesichtige Mutter. Das gefällt ihm.«
Cass riss den Kopf hoch, blitzte ihn
Weitere Kostenlose Bücher