Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
schrie nach Wachen. »Das muss dieser verflixte kleine Galgenstrick von vorhin gewesen sein!«
»Ich habe jemanden in den Kirchhof huschen sehen.« Cass wies zu einer vergitterten Einfriedung, die sich an das Seitenschiff und die Kaimauern der Themse schmiegte. Es war der Friedhof der Mönche, die in der ehemaligen Franziskanerkirche jahrhundertelang die Messe gelesen hatten. Zwischen den geborstenen Steinen wucherte Gesträuch. »Sicher will er über den Fluss entkommen.«
»Warte hier! Mit einem verdammten Lausewanz werde ich auch alleine fertig!« Dudley verschwand im Kirchhof.
Cass’ Blick flog zur Krone eines Pfirsichbaums. Zwei schmutzige Füße baumelten zwischen rosafarbenen Blütenwolken. »Mach, dass du wegkommst, bevor die Wachen hier sind.«
Äste knackten. In einem Regen aus Blüten glitt ein dürres Bürschlein am schmalen Stamm herunter und plumpste in den Kies. »Gott zum Gruß, Mylady!« Der Junge rieb sich mit der Rechten das Hinterteil, steckte eine Schleuder in den Bund seiner Hose und zog ein Briefchen hervor.
»Der is für Euch«, zischte er mit wilder Verschwörermiene.
Cass schnappte nach der Botschaft und ließ sie rasch in ihrem Buch verschwinden. Der Junge betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen, kaute auf seinen Lippen.
»Nun mach schon, lauf, lauf!«
»Ihr tragt nich zufällig Schmuck? ’n Ring oder ’ne Kette? Irgendwas mit ’nem bunten Glitzerstein?«
Cass’ Blick jagte über die Allee zum Vorplatz der Palastgebäude. »Tut mir leid, ich kann dir nichts zustecken, ich besitze keinen Penny. Und nun nimm die Beine in die Hand.« Sie wies mit dem Kinn in die Allee, an deren Ende sich bunt gekleidete Männer träge aus einem Baumschatten lösten und Hellebarden schulterten.
»Nur eine Frage noch. Seid Ihr eine Braut? Verlobt mit jemand oder so?«
Cass fuhr erschrocken zurück. »Bist du verrückt?«
Nö, aber ich kann ein bisschen lesen, dachte Nat in Gedanken an das Briefchen, dass er soeben für den Pagen zugestellt hatte. Die Bohnenstange kriegte den Hals nicht voll und nahm von allen Seiten mehr Aufträge an, als sie erledigen konnte.
Cass betrachtete ihn ungeduldig. »Verschwinde endlich. Dudleys Leibgardisten werden dich wie ein Ferkel aufspießen, wenn sie dich erwischen.«
»Verdammte Hurenscheiße! Der Kerl in der rot-gelben Geckentracht war Lord Schlachtfest?« Nat verschwand hinter Cass’ Rücken und ließ seine Wieselaugen nach allen Seiten flitzen. »Nix als dämliche Ziergärten, die Obsthaine sind zu weit weg und die Mauern zum Kai zu hoch!« Das kommt davon, dachte er, wenn man nicht als Erstes die Fluchtwege prüft. Anfängerfehler. Joshua Painbody wäre entsetzt und hätte ihm mehr als nur ’ne Ohrfeige verpasst!
Cass wirbelte herum, packte den Jungen beim Hemdkragen und stieß ihn unsanft zum Portikus. »Versteck dich in der Kirche. Schnell, mach schon. Ich lenke die Wachen ab.«
»Gilt das Kirchenasyl hier etwa noch? Is doch ein Tempel der Kanzelschwätzer.«
»Wir Protestanten sind barmherzige Christen, aber dein freches Maul wird dich eines Tages umbringen!«, fauchte Cass, stieß einen der Türflügel auf und schubste den Jungen in das Gotteshaus.
Sie hatte gerade noch Zeit, die Tür hinter dem Jungen zuzuziehen, als Dudley wütend aus dem Friedhof auftauchte. Seine Wachen, die ohne erkennbare Hast die Allee hochstiefelten, wurden Opfer majestätischen Zorns.
Cass fand Gelegenheit, kurz in ihr Gebetbuch zu schauen und es dann voller Freude an die Brust zu drücken. Die Nachricht des Geliebten war sicher verwahrt. Kein Gedicht, kein Hohelied auf die Liebe! Es war ein Heiratsantrag. Ihr Mut – und ein Quäntchen echter Leidenschaft – hatten sich bezahlt gemacht. Endlich, endlich würde sie den Dudleys und ihrer Vergangenheit entkommen. Allein dafür würde sie den Marquis lieben. Mit Leib und Seele.
Ja, sie würde lieben, sie wusste, sie konnte es lernen. Was zählte das Gestern! Ihre Kindheit war nicht mehr als eine Narbe, die gelegentlich juckte. »Niemand, der den Pflug führt und zurückschaut, ist reif für das Königreich Gottes«, murmelte sie. Worte ihrer Mutter.
Dudley drehte sich verärgert zu ihr um. »Was sagst du?«
»Nichts, nur ein Bibelvers, Euer Gnaden!«
»Amen und jetzt komm endlich. Die Pflicht ruft.«
7.
Nat zwinkerte mit den Augen, um sie an das Dunkel zu gewöhnen. In eine Nische gepresst, schaute er sich um. Halleluja, was für eine Kirche! Bisschen wenig Bilder für seinen Geschmack, stattdessen frommes
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