Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Richtung der Galerie gab. Zimenes spielte schneller. Ohne Edward aus dem Blick zu lassen, wechselte er zu einer lebhaften Galliard und endete mit einem Sprungtanz mit einem abrupten Schluss. Er verneigte sich knapp und verließ die Galerie.
»Seid Ihr wahnsinnig?«, empfing Scheyfve ihn entgeistert. »Wie soll ich Lord Dudley diesen ungebührlichen Auftritt eines Spaniers erklären?«
»Überlasst es Eurem Nachfolger.«
Scheyfve kicherte. »Das ist eine brillante Idee!«
Zimenes zog sein Schwert.
Scheyfve quiekte. »Aber Ihr könnt unmöglich gegen die Leibgardisten von Dudley antreten! Wer in Gegenwart des Königs Raufhändel anzettelt, gilt als Hochverräter!«
»Ich kenne die Gesetze. Es gilt auch als Hochverrat, wenn man einen König vergiftet.« Zimenes schob sein Schwert unter den Riegel der Kammertür und blockierte ihn.
»Vergiften ... Er lebt doch!«
»Schwatzt nicht, helft mir lieber! Wir müssen hier weg.« Zimenes schob ein Ruhebett für die Musikanten quer vor die Tür. Scheyfve belud es flugs mit Instrumenten.
»Wohin führt die Treppe am anderen Ende der Galerie?«, fragte Zimenes.
»In die Gärten.«
»Vortrefflich!«
Zimenes stürmte auf die Galerie. Scheyfve folgte ihm geduckt. Durch das Geländer erspähte er verdutzte Gesichter, die nach oben starrten. Das des Königs war nicht mehr darunter. Plötzlich splitterte Holz, und er schnellte hoch. Wer hätte das gedacht! Seine Beine waren trotz der Last, die sie zu tragen hatten, noch erstaunlich flink. Und Zimenes war wieder ganz der Alte: kühn, verwegen und unberechenbar. Mit anderen Worten: ihm ebenbürtig. Die Sache begann wieder Spaß zu machen.
9.
Z URÜCK IN N EWGATE
»Hilfst du mir?«, fragte Lunetta.
Angewidert wandte sich Samuel van Berck von einem vergitterten Fenster ab. Der Einzug der Narren von Newgate war ein Fest menschlicher Niedertracht. Seine Mutter packte einen Weidenkorb aus. Schweigend deckten sie einen groben Tisch mit Zinntellern, Brot und kaltem Lammfleisch.
»Dein Vater wird sich sehr freuen, dich zu sehen«, sagte Lunetta vorsichtig. Ihr Sohn nickte knapp. Ruhelos – als sei er selbst ein Gefangener – begann er, in der schmalen Besuchskammer auf und ab zu gehen. Sie war Teil eines Mietgefängnisses in der Nähe des Kerkers und diente vornehmen Häftlingen für Mahlzeiten und zum Empfang von Verwandten und Freunden. Die Zellen, die zur Hofseite lagen, erinnerten mit ihren Flechtbetten und Schreibpulten an karge Gaststuben. Belegt waren sie meist von adligen Bankrotteuren oder Händlern mit Kreditschulden, die Freunde mit genug Geld und Vertrauen besaßen, die die hohe Miete für diesen Luxus bezahlten. Freunde wie Sir Henry Sidney, dachte Lunetta voller Grimm.
Das hatte sie ihrem Sohn besser nicht erzählt.
Zwei Tage war es jetzt her, dass Cass verschwunden war. Lunetta hatte sie in bangem Hoffen verbracht. Samuel hatte rastlos die Gassen des Brückenviertels durchsucht. Über die junge Frau hatten sie kein Wort mehr gewechselt. Seit Samuel wusste, was seinem Vater widerfahren war, hatte er sich in Schweigen gehüllt. Lunetta empfand die lastende Stille als einzigen Vorwurf. Und war er nicht berechtigt?
In ihrem Wunsch, die Menschen, die sie liebte, vor weiterem Unglück zu bewahren, hatte sie der Wahrheit in den letzten Wochen mehr als ein Mal Gewalt angetan. Doch Tatsachen verschwanden nicht, indem man sie verschleierte und verschwieg. Sie hatte die Kunst der Täuschung so geschickt eingesetzt wie ein Sir Henry Sidney oder ein Jehan Scheyfve, in deren Intrigenspiele ihre Familie verstrickt worden war.
Es war nur folgerichtig, dass ihr Verhalten für Samuel den Geruch von Täuschung und Verrat ausströmte. Noch schmerzlicher als sein Schweigen waren die Schwermut und die Freudlosigkeit, die ihn wie ein Kettenpanzer umfingen. Drückte ihn Schuld? War es Sorge? All seine Gefühle schienen verstummt zu sein. Seine Wut hatte sich gegen ihn selbst gelenkt. Es war keine Wut, die sich in lauten Worten entladen konnte, sondern eine verbissene, nach innen gewandte Wut, die schon lange in ihm glimmen musste.
Wie nur sollte unter diesen Umständen die Wiederbegegnung zwischen Sohn und Vater glücken? Sie hatte gehofft, dass Samuel – entgegen seinen religiösen Überzeugungen – in Cass verliebt war, und sie hatte geglaubt, dass er seinen Vater ohne Groll ermutigen könne, die Unterschrift unter das Gesetz für Jane Grey zu leisten. Sein Wort hätte mehr Gewicht gehabt als das ihre. Doch ihr unbedingter
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