Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Saal, im dem sich Höflinge in Prunkgarderobe drängten. Über dem Audienzthron war der Staatsbaldachin aufgespannt. Rasch glitten seine Augen über die schwatzenden Grüppchen. »Dort steht die spanische Delegation.« Sein Blick erfasste jeden der Männer in kaiserlicher Staatstracht. Er schüttelte verärgert den Kopf. »Zum Teufel, Samuel ist nicht in Renards Gefolge!«
»Das freut mich«, gab Scheyfve zurück. »Schließlich bin noch immer ich sein Herr.«
»Wäret Ihr das, wüsstet Ihr, wo er steckt.«
Scheyfve hob ratlos die Achseln. »Samuels letzte Nachricht kam aus Greenwich, wie Ihr wisst. Und so wie ich ihn kenne, könnte ihn nichts davon abhalten, der Wiederauferstehung des Königs beizuwohnen! Marias ganze Zukunft hängt daran und die des katholischen Glaubens in England.«
Zimenes machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ihr habt oft genug Eure mit Samuels Interessen verwechselt. Wenn er nicht zu dieser Audienz erscheint, reite ich unverzüglich nach London.«
Unten ertönte ein Fanfarenstoß. Leibgardisten öffneten die Türflügel zu den königlichen Gemächern. Scheyfve schob sein Gesicht näher an die Luke. »Der König trägt prachtvolle neue Gewänder und die Staatskrone. Er muss über Gesetze verhandelt haben«, sagte er. »Er muss tatsächlich auf dem Weg der Besserung sein! Die Arzneien Eurer Nichte Lunetta scheinen wahre Wunder zu wirken.« Sein Blick erfasste einen verzückt dreinblickenden Mann, der frenetisch applaudierte. »Und Monsieur Dupois’ Schneiderkunst. Dudley scheint ihn in königliche Dienste aufgenommen zu haben.«
»Lunettas Arzneien?«, stieß Zimenes überrascht hervor.
»Ja, sie war eine Weile an der Behandlung des Königs beteiligt. Sir Sidney hat sie im Namen der Opal-Bruderschaft dazu – nun, sagen wir – überredet.« »Maldito!«, fluchte Gabriel Zimenes. »Wen von uns habt Ihr eigentlich nicht in Eure Machenschaften verstrickt?«
»Heil dem König!«, schrien die wartenden Höflinge, beugten kurz das Knie und drängelten nach vorn. Dudleys Gardisten ließen ihre Hellebarden wie Schranken herabfahren und trieben die Wartenden bis an die Saalwände zurück.
Endlich betrat Englands junger König, flankiert von seinem Kammerherrn Sidney und seinem Vormund Lord Dudley, den Saal. Er war in alles überstrahlenden Goldbrokat gehüllt, ein prachtvoller Zobelmantel wölbte sich um seine Schultern. Ihm folgte der übliche Rattenschwanz von Würdenträgern.
Scheyfve runzelte die Stirn. »Das ist wirklich die erstaunlichste Genesung, die ich je erlebt habe! Sidney schrieb mir erst vor zehn Tagen nach Canterbury, dass der König nur noch Blut huste und Galle spucke, dass er nicht mehr essen, geschweige denn gehen könne. Ist Eure Nichte eine Zauberin?«
Zimenes brachte ihn mit wütender Handbewegung zum Schweigen. Er kniff die Augen zusammen, um den Jüngling in Gold und Zobel genauer betrachten zu können. Er war blass, die Wangen glühten unnatürlich rot, was auf eine tödliche Lungenauszehrung schließen ließ. Merkwürdig schwarz stachen die Augenbrauen aus dem Gesicht hervor. War Edward nicht rothaarig wie sein Vater? Die Krone ließ kein Urteil zu. Edward hielt sein Haupt aufrecht, seine Schritte waren gemessen, immer wieder blieb er stehen und grüßte mit angedeutetem Nicken nach allen Seiten. Zimenes sah, dass nicht der König, sondern Lord Dudley das Tempo des Einzugs bestimmte und dass er dem jungen König immer wieder einen Riechapfel anbot. Gemächlich durchquerten Edward und sein Gefolge den Saal. Ohne innezuhalten, ging er am Audienzthron vorbei.
»Was soll das?«, fragte Scheyfve erstaunt. »Warum lädt Dudley zum Staatsempfang mit allem Pomp, wenn der König nichts zu sagen hat?«
Zimenes fasste einen raschen Entschluss. Er riss Scheyfve seinen kaiserlichen Umhang von den Schultern und griff nach einer Laute.
»Was habt Ihr vor?«, zischte Scheyfve.
»Ich will den König einer Untersuchung unterziehen.«
»Mit einer Laute?«
Zimenes beachtete ihn nicht weiter, tauschte seinen Gelehrtenumhang gegen den kaiserlichen aus und trat durch eine Holztür auf die Galerie der Musikanten. Weich schlug er die Töne einer Pavane an.
Der Königszug geriet aus dem Takt und verharrte unter der Galerie. Dudley riss den Kopf hoch, Edward hob den seinen unter Mühen, und sein Körper wurde schlaff. Sidney musste ihm beispringen, um ihn zu stützen. Der Herzog von Northumberland wartete nicht einmal vier Takte lang, bevor er seinen Leibgardisten ein Zeichen in
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