Das Tattoo
die Waschma schine stehen blieb, stöhnte sie ungehalten auf. Das Essen würde auch so fertig werden, weil sie einen Gasherd hatten, aber die Waschmaschine brauchte Strom. Gerade als draußen auf der Stra ße eine graue Limousine um die Ecke bog, ging sie in die Küche und öffnete den Sicherungskasten. Deshalb sah sie nicht, wie das Auto seine Fahrt verlangsamte und schließlich anhielt.
Schneeschippen gehörte nicht unbedingt zu Clays Lieblingsbe schäftigungen, doch da er in Denver geboren und aufgewachsen war, war es etwas, das ihn schon sein ganzes Leben lang begleite te. Als er hinter dem Haus fertig war und nach vorn ging, war ihm von der Bewegung richtig warm geworden. Bei jedem Ausat men entschwebte seinem Mund eine kleine weiße Wolke.
Der Weg vor dem Haus wirkte noch verschneiter als der hintere Teil. Im Vorübergehen schlug er mit dem Stiel der Schneeschaufel ein paar Eiszapfen ab, die an den Dachvorsprüngen des Hauses hingen. Er schaute zu, wie sie zersplitterten und ge räuschlos im Schnee versanken.
Er ging einen Schritt nach rechts, holte wieder aus und schlug eine ganze Kolonie von Eiszapfen ab. Als sie mit dem Schaufel stiel in Berührung kamen, klirrten sie wie Glas. Sie flogen durch die Luft und verschwanden gleich darauf ebenfalls im tiefen Schnee. Er musste immer wieder daran denken, dass nächstes Jahr um diese Zeit ein Baby im Haus sein würde. Großer Gott.
Ein Baby. Würde es ein Mädchen oder ein Junge werden? Aber war das wichtig? Wohl kaum. Schon gar nicht, solange nicht einmal der Name des Vaters feststand.
Er schob den Gedanken weg. Er hatte es ehrlich gemeint, als er Frankie gesagt hatte, das es unwichtig war. Er hatte zwei Jahre lang gebetet, dass ein Wunder geschehen und sie zurückkommen möge. Und dann war dieses Wunder tatsächlich geschehen. Er hatte sie wieder in seinem Leben, und diese Tatsache blieb beste hen, egal ob sie das Baby mitgebracht hatte oder ob es von ihm war.
Sein Blick glitt von den Eiszapfen an den Dachvorsprüngen zu seinem Spiegelbild in dem Fenster vor ihm. Das war der Mo ment, in dem er sah, dass hinter ihm auf der Straße ein Auto an hielt.
Als zwei Männer ausstiegen, drehte er sich um. Einer war groß und breitschultrig, mit einem ergrauenden Pferdeschwanz, der ihm hinten über den Mantelkragen fiel. Diesen Mann hatte Clay noch nie vorher gesehen, aber der andere kam ihm irgend wie bekannt vor. Clay runzelte nachdenklich die Stirn. Oh, gro ßer Gott.
Er ächzte, als ob ihm jemand einen harten Fußtritt in die Ma gengegend verpasst hätte, ließ die Schneeschaufel fallen und rann te, laut Frankies Namen schreiend, zum Haus. Vom Schuss, der ihn ins Schulterblatt traf, hörte man kaum mehr als ein fast ge räuschloses Plopp. Clay blieb abrupt stehen und drehte sich einmal um die eigene Achse, bevor er zusammenbrach und im tiefen Schnee versank wie die Eiszapfen, die er vom Dach geklopft hat te.
Duke blieb vor Clays schlaffem Körper stehen. „Soll ich ihn weg…”
„Lass ihn liegen”, befahl Pharaoh unwirsch, während sie den
verschneiten Weg hinaufgingen. „Wir werden uns hier nicht so lange aufhalten, dass er uns stören könnte.”
Duke warf einen nervösen Blick über die Schulter. Die Stra ße lag verlassen da, aber in einer so gutbürgerlichen Gegend wusste man nie genau, wer da hinter den Gardinen hervorlugte. Im Stillen, verfluchte er Pharaoh dafür, dass er dieses Ding am helllichten Tag durchzog, aber er runzelte nur ungehalten die Stirn und verkroch sich tiefer in seinen Mantel, während er zur Vordertür ging. Er wollte gerade klopfen, als Pharaoh seine Hand packte.
„Nicht.”
„Aber sie haben eine Alarmanlage, Boss”, gab Duke zu be denken, wobei er auf den Aufkleber an einer Fensterscheibe deu tete.
„Sie wird nicht eingeschaltet sein, und die Tür ist bestimmt nicht abgeschlossen. Nicht wenn der Göttergatte draußen Schnee schaufelt.”
Duke warf einen Blick auf den Mann, den Pharaoh soeben niedergeschossen hatte, und streckte dann die Hand nach dem Türknopf aus. Wie prophezeit ließ sich der Knauf tatsächlich problemlos drehen.
Beim Eintreten stieg Pharaoh der Duft von frisch gebacke nem Brot in die Nase. Er holte tief Atem. Gleich darauf brach sich die Realität Bahn, während sein Herz einen erwartungsvol len Satz machte. In wenigen Sekunden würden sie wieder vereint sein. Und diesmal für immer.
„Hast du das Zeug?” fragte er.
Duke schob die Hand in seine Tasche und tastete nach der ge füllten
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