Das Tattoo
Ramsey.
„Himmel, nein”, brummte Dawson. „Es könnte jetzt bereits zu spät sein.”
Er lief von der Seite auf das Haus zu, ging erst hinter einem Strauch in Deckung und dann hinter einem Baum, während er sich an die blutbeschmierte Haustür heran pirschte, die einen Spalt offen stand. Sein Herz klopfte bis zum Hals, seine Fantasie trieb wilde blutrünstige Blüten, die sein Verstand nicht akzeptie ren wollte. Alles, was er denken konnte, war: Bitte, Gott, lass die se Menschen nicht tot sein.
In dem Moment, in dem ein Mann aus dem Haus gerannt kam, sprang er in geduckter Haltung hinter einem Baum hervor. Er nahm erst das Gesicht des Mannes wahr und dann die Waffe, die er in der Hand hielt. Er zielte auf ihn und brüllte: „Polizei! Lassen Sie die Waffe fallen. Sie sind umstellt.”
Pharaoh Carn wirbelte herum. Er wusste im selben Moment, in dem er abdrückte, dass es aussichtslos war. Die erste Kugel traf ihn unter dem Schlüsselbein, während sein eigener Schuss dane benging. Er verspürte erst Taubheit, bevor der Schmerz einsetzte. Die Pistole rutschte ihm aus der Hand und fiel in den Schnee. Er schaute ungläubig nach unten. Ohne zu begreifen, was diese Handlung bei seinem Gegenüber an Assoziationen auslöste,
schob er die Hand in seinen Mantel und legte sie auf die Stelle, aus der das warme Blut über seine Brust rann.
Dawson sah, wie er die Hand in seinen Mantel schob, und reagierte dementsprechend.
Die zweite Kugel drang in Pharaohs Brust ein, zerfetzte alle lebenswichtigen Organe und ließ ihm nur noch Sekunden Zeit. Hinter sich hörte er Francescas Schrei. Er warf sich herum und streckte ihr einen Arm entgegen. Und dann passierte alles wie in Zeitlupe.
Der Polizist kam auf ihn zu und schrie etwas, das er nicht ver stehen konnte.
Die Sonne begann sich zu verdunkeln.
Sein Herzschlag war wie Donnerhall in seinen Ohren, wäh rend er den Boden unter seinen Füßen verlor.
Er spürte, wie er fiel und fiel… und immer weiter fiel.
Hörte sein Herz immer langsamer schlagen.
Vor seinem inneren Auge blitzten Bilder auf.
Francesca mit vier, wie sie ihre Schmusedecke umklammerte und sich den Daumen in den Mund schob.
Francesca mit acht, übermütig lachend, während er der Schaukel, auf der sie saß, einen kräftigen Schubs gab.
Francesca mit zehn, wie sie ihm eine Schleife gab, mit der Bit te, diese in ihrem Haar zu befestigen.
Francesca…
Francesca.
Der Schnee hüllte ihn ein wie eine Decke, als der Tod seinen Fall aufhielt, indem er seine kalten Arme nach ihm ausstreckte.
Als die Schüsse fielen, hatte Frankie aufgeschrien und sich über den bewusstlosen Clay geworfen. Die anschließende Stille wirkte noch bedrohlicher als der Lärm. Das Geräusch eiliger
Schritte auf der Vorderveranda versetzte sie in Panik. Sie schnappte sich die Pistole, die sie irgendwann fallen gelassen hatte und zielte, während sie Clay noch immer mit ihrem Kör per abschirmte.
Und so fanden Dawson und Ramsey sie, blutverschmiert und bis in die letzte Faser ihres Körpers angespannt, mit dem Revolver, dessen Lauf auf die erste Person zielte, die in Sicht kam.
„Polizei! Polizei!” brüllten die beiden wie aus einem Mund.
Dawson lief zu ihr, während Ramsey, immer noch mit gezogener Pistole, schrie: „Sind noch mehr im Haus?”
Sie deutete auf Duke Needham, der, ebenfalls bewusstlos, an der gegenüberliegenden Wand lag.
„Nur er.” Dann fing sie am ganzen Körper an zu zittern.
Ramsey wirbelte herum, warf einen kurzen Blick auf Duke Needhams Verletzungen und musterte Frankie anschließend vol ler Respekt.
„Gute Leistung … wirklich erstklassig gezielt, das muss ich schon sagen.”
Sie legte den Revolver auf den Boden und nahm Clays Kopf in ihren Schoß. Ihre Kleider waren ebenso blutverschmiert wie ihre Hände - von seinem Blut.
„Helfen Sie ihm. Er ist schwer verletzt.”
Dawson winkte Ramsey. „Sag Bescheid, dass wir alles unter Kontrolle haben.” Er warf Needham einen Blick zu. „Und fordere noch einen zweiten Notarztwagen an, sofern nicht schon einer unterwegs ist.”
Ramsey rannte zur Eingangstür, während Dawson an Clays Hals nach einem Puls tastete.
„Er lebt.” Er drückte flüchtig Frankies Arm. „Sie haben sich wirklich prima gehalten, jetzt müssen Sie nur noch etwas Geduld haben. Ich bin mir sicher, dass er es schafft.”
Nach diesen Worten ging er zu Needham, überprüfte seinen Zustand und nahm die Pistole an sich, die dieser fallen gelassen hatte. Sekunden später
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