Das Tattoo
nichts auf dem Boden.
Als er sich umdrehte sah er jedoch, dass ein paar Briefe bereits ordentlich gestapelt auf dem Couchtisch lagen. Clay zuckte mit den Schultern. Seine Mutter konnte es nicht lassen. Obwohl er eine Putzfrau hatte, fühlte sich Betty LeGrand des Öfteren gehalten, selbst noch nach dem Rechten zu schauen.
Nachdem er den Stapel flüchtig durchgeblättert hatte, ging er in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen. Eine schöne heiße Tasse würde bestimmt wenigstens einen Teil der Kälte, die ihm in den Knochen saß, vertreiben.
Während er die Kanne mit Wasser füllte, fiel sein Blick auf ei nen benutzten Teller und eine Gabel. Er grinste. Seine Mutter hatte sich offenbar dieses letzte Stück Kirschkuchen einverleibt. Er gönnte es ihr zwar, in Anbetracht der Tatsache aber, dass es so gut wie alles war, was er an Essbarem im Haus hatte, hätte er es durchaus gern selbst gegessen. Andererseits war ein Stück Ku chen derzeit wirklich seine letzte Sorge. Clay beschloss, erst einmal heiß zu duschen und sich trockene Sachen anzuziehen, wäh rend der Kaffee durchlief. Hinterher würde es ihm bestimmt schon besser gehen. Bei seiner Rückkehr ins Wohnzimmer hatten im Fernsehen gerade die Nachrichten angefangen.
„Die Folgen des Erdbebens, das gestern gegen Mittag Südka lifornien erschütterte, sind immer noch spürbar. Der Verkehr fließt nur zäh in beiden Richtungen. Obwohl die meisten Fluglinien den Verkehr wieder aufgenommen haben, wird immer noch davon abgeraten, in diese Gegend zu reisen. Die Zahl der Todes opfer hat sich erhöht, und es steht zu befürchten, dass sie weiter ansteigt.”
Clay runzelte die Stirn und zappte sich durch die Programme.
Als er den Vorspann von / Love Lucy erkannte, stellte er lauter und warf die Fernbedienung auf dem Weg in sein Schlafzimmer a uf einen Sessel.
Er machte sich gerade daran, im Laufen sein Hemd aufknöp fen, als er den Schmutz an seinen Stiefeln bemerkte. Er schaute .sich um, aber der Fußboden war zum Glück noch sauber. Schnell zog er die Stiefel aus und nahm sie mit ins Schlafzimmer.
Beim Eintreten fiel sein Blick automatisch aufs Bett. Als er die zerwühlten Laken sah, runzelte er irritiert die Stirn. Er hätte schwören können, dass er das Bett heute morgen gemacht hatte. Noch während er darüber nachgrübelte, begannen sich plötzlich die Decken zu bewegen, und gleich darauf zeigte sich ein nackter Arm. Clay wich erschrocken einen Schritt zurück. Sein Magen verkrampfte sich, er schloss er die Augen.
„Oh, mein Gott… jetzt nicht die Nerven verlieren.” Er holte tief Atem.
Gebannt starrte er auf das Gespenst, überzeugt davon, dass die Vision gleich verschwinden würde. Aber dem war nicht so. Er - sie - war immer noch da.
Er war so erschüttert, dass ihm die Stiefel aus der Hand rutschten und mit einem dumpfen Poltern zu Boden fielen.
Bei dem Geräusch rollte sich die Erscheinung, die aussah wie Francesca, herum, schlug die dunklen Augen auf und lächelte ihn mit diesem verschlafenen sexy Lächeln an, das ihm noch so gut in Erinnerung war.
„Hi, Honey”, sagte Frankie und schaute zum Fenster. „Du meine Güte, regnet es denn immer noch?”
Er taumelte einen Schritt zurück und suchte an der Wand Halt. Ihm war schon seit langem bewusst, dass er nur noch auto matisch funktionierte, doch dass es so schlimm um ihn stehen könnte, hätte er nicht geglaubt. Nicht wirklich, jedenfalls.
„Francesca?”
Sein Flüstern war kaum vernehmbar. Aus Angst, die Fata Morgana zu vertreiben, wagte er es nicht, ihren Namen noch ein mal auszusprechen. Als ihm eine Sekunde später ein Gedanke durch den Kopf schoss, begann sein Herz zu hämmern. Was war, wenn sie real war? Im gleichen Moment, in dem der Gedanke ihm kam, verwarf er ihn auch schon wieder. Das war unmöglich.
Er beobachtete, wie sie sich umdrehte und aufsetzte. Dabei wurde sie plötzlich kalkweiß im Gesicht, während sie die Hand an ihre linke Kopfseite legte und die Stirn runzelte.
„Au, das tut weh”, sagte sie.
„Frankie?”
Sie schüttelte den Kopf, als ob sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
„Clay, Liebling, du bist ja völlig durchnässt. Am besten duschst du erst mal, und ich mache inzwischen das Abendessen.”
Clay durchquerte wie in Trance das Schlafzimmer. Als sie aufstand, verspürte er den schier übermächtigen Drang, sich um zudrehen und davonzulaufen; Stattdessen sah er reglos zu, wie sie das Gleichgewicht verlor und sich auf die Bettkante plumpsen
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